Taktik-Check GP USA 2023
Zu spät vom Einstopp-Rennen gelöst

GP USA 2023

Mercedes wollte zu viel. Die Strategen sahen eine größere Chance, Max Verstappen mit einem Einstopp-Rennen zu schlagen, als auf seine Boxenstopps zu reagieren. Dann brachen im falschen Moment die Reifen ein.

Lewis Hamilton - Mercedes - Formel 1 - Sprint - GP USA 2023 - Austin
Foto: Wilhelm

Vergessen wir die Disqualifikationen am Ende des Rennens. Sie haben einen Grand Prix beschädigt, der einer der besten des ganzen Jahres war. Es wäre einfach zu sagen, dass Charles Leclerc nur auf die Pole Position gefahren ist, weil Ferrari das Risiko einging, das Auto tiefer zu setzen oder weicher abzustimmen. Das gleiche, trifft auf Lewis Hamilton zu. Es wäre vermessen, sein bestes Saisonrennen nur auf diesen Verdacht zu reduzieren. Und wer weiß, wer sonst noch mit der Planke in Konflikt geraten wäre, wenn alle 17 Autos im Ziel gemessen worden wären?

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Tun wir also so, als hätte es diese Disqualifikationen nicht gegeben. Dann war es im Kontrast zum Sprint ein höchst unterhaltsames Rennen mit vielen taktischen Optionen. Der Sprint wurde nur deshalb zur Schlaftablette, weil mit Max Verstappen der schnellste Fahrer beim Start gleich in Führung ging. Alle lobten sein Reifenmanagement, doch an der Spitze ist es auch deutlich einfacher, die heiklen Pirellis in Schuss zu halten. Das merkte Verstappen am Sonntag. Im ersten Stint steckte er mal im Verkehr und bezahlte mit mehr Reifenabnutzung als üblich. Sergio Perez macht das jedes Wochenende durch.

Leclerc - Verstappen - Formel 1 - GP USA 2023 - Austin - Rennen
Motorsport Images

Max Verstappen musste sich zu Beginn des Rennens durch den Verkehr kämpfen und beanspruchte die Reifen mehr, als üblich.

Verstappen überrascht mit frühem Boxenstopp

Verstappen konnte bis zur 15. Runde weder auf Lando Norris und Lewis Hamilton entscheidend aufholen, noch von Charles Leclerc wegfahren. Und der Ferrari-Pilot war da schon mit dem Plan eines Einstopp-Rennens unterwegs. Hier die Momentaufnahme nach einem Viertel des Rennens: Norris führte 1,9 Sekunden vor Hamilton und 6,6 Sekunden vor Verstappen. Leclerc lag mit 8,4 Sekunden Rückstand auf die Spitze immer noch auf Schlagdistanz mit dem Red Bull. Nur Carlos Sainz, George Russell und Sergio Perez kamen mit Abständen von 11,1 bis 14,7 Sekunden nicht mehr für das Podium infrage.

Verstappens früher Boxenstopp war eine Überraschung. Der Niederländer ist normalerweise nicht der Erste, der die Reifenwechsel-Phase eröffnet. Red Bull zog ungewöhnlich früh den Stecker, um Unruhe in das Geschehen zu bringen und weil sich im Feld zwischen den beiden Alpha Tauri eine Lücke auftat, in die der nunmehr 50-malige GP-Sieger fallen konnte.

Mit der Reifenwahl hatte man keinen Joker in der Hinterhand. Auch Mercedes und Ferrari hatten sich je zwei frische Garnituren Medium und einen Satz harte Reifen für das Rennen reserviert. Nur McLaren schwamm mit zwei Sätzen harten Reifen und einem Medium-Set gegen den Strom.

Lando Norris - McLaren- GP USA 2023 - Austin - Formel 1
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McLaren hatte zwei frische Sätze an harten Reifen für das Rennen zur Verfügung.

Das lange Warten von Mercedes

McLaren und Ferrari reagierten prompt auf Verstappens Stopp. Norris rettete 4,1 Sekunden von seinem Vorsprung auf Verstappen, doch er trat jetzt mit harten Sohlen gegen die Medium-Gummis am Red Bull an. Sainz hatte danach 8,1 Sekunden Rückstand auf Verstappen, doch der Spanier war ohnehin nie in der Lage, dem Weltmeister den Kampf anzusagen. "Ich habe mir im ersten Stint durch das Hinterherfahren im ersten Sektor die Vorderreifen ruiniert."

Leclercs Rundenzeiten waren dagegen so stabil, dass ihm Ferrari Plan A zutraute. Dass ausgerechnet ein Ferrari mit einem Stopp taktiert, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Ferrari hätte es eigentlich wissen müssen. Im Sprint verlor Leclerc in den letzten vier Runden acht Sekunden auf Verstappen, weil die Reifen am Limit waren.

Mercedes hätte Hamilton locker vor Verstappen halten können, doch man wartete. Und wartete. "Wir hatten drei Runden Zeit, uns gegen Max abzusichern", gaben die Strategen zu. Doch die Rundenzeiten von Hamilton und Russell waren so gut und so stabil, dass man ihnen ein Einstopp-Rennen zutraute. Die dafür nötige Zielrunde war die 23. In der 18. Runde wurden Hamilton und Russell gefragt, ob sie ihren Reifen noch jeweils fünf Runden zutrauten. Als Antwort hörten die Ingenieure ein vorsichtiges Ja.

Das animierte sie, auf Risiko zu gehen. Man traute sich nur bedingt zu gegen Verstappen zu bestehen, wenn man immer nur auf seine Boxenstopps reagiert. "Wir hätten gewinnen können, hätten wir das Logische getan. Aber es gab keine Garantie dafür", hieß es am Kommandostand. Hamilton sah es genauso: "Ich wäre wahrscheinlich vor Max, aber hinter Lando rausgekommen. Zu dem Zeitpunkt waren wir drei ungefähr gleich schnell. Es ist schwer zu sagen, wie sich das Rennen dann entwickelt hätte."

Lewis Hamilton - Mercedes - Formel 1 - GP USA 2023 - Austin - Rennen
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Mercedes hielt bei Hamilton zu lange an der Einstopp-Strategie fest.

Ein Nettoverlust von 11,2 Sekunden

Als Hamilton die 19. Runde mit 1.43,523 Minuten abschloss und damit acht Zehntel über der Zielzeit lag, wusste man bei Mercedes, dass man verzockt hatte. Verstappen legte die gleiche Runde mit 1.40,809 Minuten zurück, Norris mit 1.41,366 Minuten und Sainz mit 1.41,869 Minuten. Mercedes holte erst Hamilton, dann Russell an die Box. "Für ein Einstopp-Rennen zu früh, für zwei Stopps zu spät", urteilte Teamchef Toto Wolff.

Nach dem Notstopp in Runde 20 wunderte sich Hamilton, dass er seine Gegner aus dem ersten Stint gar nicht mehr sehen konnte. Leclerc führte, weil sein erster Reifenwechsel noch anstand. Ferrari störte sich nicht groß daran, dass der Trainingsschnellste nun schon fünf 1.43er-Runden gedreht hatte. Plan A war Befehl. Tatsächlich lag Norris 2,8 Sekunden vor Verstappen und 9,3 Sekunden vor Hamilton. Der heimliche Favorit hatte innerhalb von fünf Runden 11,2 Sekunden auf Verstappen verloren.

Das Reifenlaufzeit-Delta von vier Runden war nur ein kleiner Vorteil, weil Hamilton im Mittel-Stint wie Norris die harten Reifen bekam. Mercedes wollte als Reaktion auf den Fehler Hamilton im Schlussabschnitt nicht nur die weicheren Reifen als Verstappen geben, sondern auch die frischeren. Doch mehr als drei Runden Differenz kam nicht dabei heraus, weil Sainz in Hamiltons Boxenstopp-Fenster fuhr und man vermeiden wollte, bei dem schwachen Topspeed der Mercedes einen Ferrari auf der Strecke überholen zu müssen.

Lewis Hamilton - Mercedes - GP USA 2023 - Austin
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Der Stopp in Runde 20 warf Hamilton hinter Verstappen zurück.

McLaren vertraute zu viel dem harten Reifen

Verstappen sorgte in der 28. Runde auf der Strecke für klare Verhältnisse. Er überholte Norris über drei Kurven hinweg. Zu dem Zeitpunkt lag Hamilton nur noch 5,5 Sekunden zurück. McLaren-Teamchef Andrea Stella gab zu, dass man sich mit zwei Garnituren harter Reifen zu sehr eingeschränkt hatte. "Der Medium war der bessere Reifen. Er war schneller und hat nicht entscheidend früher abgebaut als der harte Reifen."

An einem Sprint-Wochenende werden die Fehler im ersten Training gemacht. Und da setzte McLaren den Medium-Reifen ein, was gleichbedeutend damit war, dass nur noch ein Satz Medium für das Rennen übrig bleiben würde. "Wir wussten, dass dieses Rennen extrem hart für die Reifen ist, und da trauten wir der harten Mischung am meisten zu. Außerdem harmoniert unser Auto gut mit der C2-Mischung", erklärte der Teamchef die Entscheidung.

McLaren hätte sein Rennen in der zweiten Hälfte auf Hamilton ausrichten können, doch der Kommandostand entschied anders. "Wir wollten den Sieg. Deshalb haben wir Lando so schnell wie möglich fahren lassen. Im zweiten Stint haben wir nach dem Duell mit Max die Reifen verloren. Das hat Hamilton in die Karten gespielt", gab Stella zu.

Hamilton - Norris - Formel 1 - GP USA 2023 - Austin - Rennen
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McLaren wollte unbedingt den Sieg. Im Kampf gegen Verstappen verheizte Norris aber die Reifen und musste auch Hamilton später ziehen lassen.

Hamiltons Schlussspurt fehlen die Runden

Norris leitete die Serie der zweiten Boxenstopps schon in Runde 34 ein. Verstappen musste nachziehen, weil er zu dem Zeitpunkt nur 3,1 Sekunden Vorsprung hatte. Hamilton wartete noch drei Runden länger, um dann mit den Medium-Reifen bei 7,6 Sekunden Rückstand auf Verstappen und 6,4 Sekunden auf Norris zum Schlussspurt zu blasen. Leclercs Einstopp-Strategie zerbröselte exakt in dem Moment, in dem Hamilton zum zweiten Mal die Boxen ansteuerte. Da gingen Verstappen und Norris am Ferrari mit der Startnummer 16 vorbei. Mit deutlich frischeren Reifen.

Hamilton holte noch 5,4 Sekunden auf den Spitzenreiter auf. Nicht nur wegen des Reifenvorteils. Auch, weil Verstappen ab der sechsten Runde mit einer unberechenbaren Bremsbalance kämpfte. "Ich traute meinen Bremsen nicht. Sie waren nicht so konstant wie im Sprint. Zuerst haben die Vorderreifen blockiert, und als ich mehr Balance nach hinten verstellt habe, die Hinterreifen. Deshalb musste ich härter in die Eisen, und das hat auch den Reifen nicht so gutgetan."

Auf der anderen Seite musste Hamilton erst an Norris vorbei, bevor er Kurs auf den Weltmeister nehmen konnte. Das hat den fünfmaligen Austin-Sieger vier Zehntel gekostet. Es hätte aber auch so nicht gereicht. "Ich hätte eine Runde mehr gebraucht, Max einzuholen und zwei um ihn anzugreifen." Norris bedauerte nicht mehr Gegenwehr liefern zu können: "Ich musste im dritten Stint gleich von Beginn an attackieren. Den Preis habe ich dafür später bezahlt. Die Reifen haben am Ende stark nachgelassen."

Max Verstappen - Red Bull - Formel 1 - Sprint - GP USA 2023 - Austin
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Hamilton kam am Ende noch nahe an Verstappen dran, doch für ein Überholmanöver ging ihm die Zeit aus.

Leclercs Einstopp-Rennen war ein Fehler

Ferrari musste in der 43. Runde die schwere Entscheidung treffen, Leclerc zu bitten, seinen Teamkollegen vorbeizulassen. Der Monegasse wollte wissen, warum, wurde aber mit der Antwort bis nach dem Rennen vertröstet. "Es ist normal, dass sich ein Fahrer gegen so einen Befehl wehrt. Aber ein paar Runden später hat er ihn verstanden. Perez hat auf ihn und Carlos aufgeholt, und es bestand die Gefahr, dass er an beiden vorbeigeht, wenn wir Carlos hinter Charles lassen", erklärte Teamchef Frédéric Vasseur.

Fahrer und Teamleitung sahen nach dem Rennen ein, dass ein Stopp zu ambitioniert war. "Auf dem Papier versprachen ein und zwei Stopps ungefähr die gleiche Rennzeit, aber in Realität war ein Stopp deutlich langsamer."

Auch George Russell ärgerte sich. Zuerst über den schlechten Start, der ihn drei Positionen kostete. Dann über die späte 180 Grad-Wende weg vom Einstopp-Rennen. Schließlich über den enttäuschenden Speed des Autos auf den harten Reifen und eine Phase, in der er Sprit sparen musste und viel Zeit auf Leclerc verlor, der nur 0,3 Sekunden vor ihm ins Ziel kam. "Auf den Medium-Reifen am Schluss bin ich geflogen. Ich habe Max im letzten Stint zehn Sekunden abgenommen. Ich hätte ein Auto für das Podest gehabt, konnte es aber nicht nutzen."

George Russell - Mercedes - Formel 1 - GP USA 2023 - Austin - Rennen
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George Russell beklagte sich über die Strategie. Er hätte seiner Meinung nach die Pace für das Podest gehabt.

Die Helden aus der Boxengasse

Aston Martin und Haas ließen ihre Fahrer aus der Boxengasse starten. So konnten die falschen Entscheidungen korrigiert werden, die man nach dem ersten Training traf. Die Autos bekamen neue Setups und frische Planken. Im Fall von Fernando Alonso sogar ein Aero-Paket mit einer älteren Spezifikation. Der Spanier saß in der Katar-Version.

Aston Martin korrigierte die Bodenfreiheit nach unten. Haas wählte Flügel mit mehr Abtrieb. Beides half. Alonso war kurz davor, Pierre Gasly zu überholen, bis ein Teil von einem halben Meter Länge aus dem Unterboden brach und das Auto unfahrbar machte.

Lance Stroll kam 0,7 Sekunden hinter Gasly ins Ziel, der immerhin vom siebten Platz gestartet war. Die Strategen von Aston Martin wählten späte Boxenstopps, um ihren Piloten so oft wie möglich freie Fahrt zu ermöglichen. Haas splittete aus dem gleichen Grund die Taktik. Kevin Magnussen wechselte früh, Nico Hülkenberg spät. Der Deutsche verfehlte nach den beiden Qualifikationen den letzten WM-Punkt nur um 1,9 Sekunden.

Im Mittelfeld herrschte diesmal weniger Action als vorne. Das demonstrierte die schnellste Runde des Rennens für Yuki Tsunoda. Der Japaner, der als Zehnter ins Ziel fuhr, hatte einen freien Boxenstopp, um weiche Reifen aufziehen zu können. Das gibt es in diesem Bereich des Feldes eigentlich nie.

Tsunoda wunderte sich selbst: "Als sie mich drei Runden vor Schluss an die Box riefen, ist mir das Herz in die Hose gerutscht. Ich dachte, dass etwas mit dem Motor nicht stimmt und ich aufhören muss. Als sie mir gesagt haben, dass es um die schnellste Runde ging, war ich beruhigt."

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