Norris verschläft die Startrunde
Sprint-König Verstappen stutzt McLaren

GP Brasilien 2023

McLaren ist in Brasilien besser aufgestellt als erwartet. Lando Norris träumte nach der Sprint-Pole vom Sieg. Doch Max Verstappen hatte den besseren Start und weniger Reifenabbau. Teamkollege Sergio Perez profitiert von einer für ihn günstigeren Balance.

Verstappen - Norris - GP Brasilien 2023 - Sprint
Foto: Wilhelm

Das Spiel wiederholt sich in den letzten Wochen. McLaren überrascht sich selbst mit seiner Konkurrenzfähigkeit. Eigentlich hatte der Rennstall aus Woking nach den zwei Gala-Wochenenden in Japan und Katar mit zwei Doppelpodesten und einem Sprintsieg mit einem leichten Abschwung gerechnet. Die Rennstrecken in Austin, Mexiko und Brasilien sollten dem MCL60 auf dem Papier nicht so liegen.

Das tun sie auch nicht so wie die Pisten in Suzuka und Katar – zwei Strecken voll gepflastert mit schnellen Kurven. Und doch sind die McLaren weiter voll bei der Musik dabei. In Austin wurde Lando Norris nach der Disqualifikation von Lewis Hamilton nachträglich Zweiter. In Mexiko verwehrte sich der 23-Jährige mit einer schwachen Qualifikation einen Podestplatz. Er hätte den Speed gehabt, um Mercedes und Ferrari in der dünnen Höhenluft zu schlagen. In Brasilien setzte er zum nächsten Höhenflug an und scheiterte.

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Lando Norris - McLaren - GP Brasilien 2023 - Sprint
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Lando Norris musste nach verpatzter Startrunde erstmal an George Russell vorbei.

Norris zu konservativ am Gas

Man wird das Gefühl nicht los, dass dem englischen Talent im entscheidenden Moment das letzte Quäntchen fehlt, um zu vollstrecken. Vielleicht hat es auch einfach nur mit Glück zu tun. In Monza 2021 war er der schnellere McLaren-Fahrer, doch Ex-Teamkollege Daniel Ricciardo setzte den Speed in einen Rennsieg um. Einen Grand Prix später, in Russland, stürmte Norris auf die Pole und wurde vom späten Regen aus den Siegesträumen gerissen.

Am diesjährigen Rennwochenende von Katar stahl im Teamkollege Oscar Piastri die Show – obwohl Norris schneller war. Der 23-Jährige überschritt zu oft die Streckenlimits. Er rüffelt sich selbst: "Ich fahre in den letzten vier oder fünf Rennen so gut wie nie. Ich hole alles aus dem Auto raus. Wären da nicht die dummen Fehler, die ich ab und an einstreue."

McLaren-Teamchef Andrea Stella erläutert: "Seit unserem Singapur-Upgrade kann Lando mehr nach seinem Geschmack mit dem Auto fahren." In São Paulo sollte es endlich mit dem ersten Sieg klappen – auch wenn es nur der im Sprint gewesen wäre. Norris hatte dank der Pole Position aus dem Sprint-Shootout die beste Ausgangslage. Und doch vollstreckte der Engländer nicht. Weil einer besser war: Wer sonst außer Max Verstappen?

Der Anlauf in die erste Kurve ist nur 195 Meter lang. Und doch reichte es dem Weltmeister, um den McLaren zu überflügeln. Dabei hatte Norris eigentlich den besseren Start. "Ich bin in der ersten Phase gut weggekommen", schildert der spätere Zweitplatzierte. "Nur leider ist mir in der zweiten Phase der Schwung abhandengekommen. Die Räder drehten nicht durch. Vielleicht war ich mit dem Gasfuß einfach zu konservativ." Fahrer und Ingenieure analysieren, ob der Wurm nicht doch in der Technik steckte. Hat die Kupplung im letzten Augenblick nicht schnell genug eingerastet? Oder gab es ein Problem beim Hochschalten?

Verstappen der Reifenflüsterer

Verstappen erlebte das Gegenteil. "Mein Start war alles andere als großartig. Doch im zweiten Teil nahm ich Fahrt auf. Das hat zum Glück gereicht, um Lando in Kurve eins zu packen." Verstappen hatte die Innenspur. Der McLaren-Pilot musste zurückstecken. Zu allem Überfluss verlor Norris noch eine zweite Position. George Russell überraschte ihn in Kurve acht. "Da habe ich gepennt. George war sehr aggressiv in der Anfangsphase. Das hat er später bezahlt." Der Mercedes-Pilot nahm die Reifen zu hart ran.

Norris konterte erfolgreich in der fünften Runde. Zu diesem Zeitpunkt lag Verstappen nur 1,5 Sekunden entfernt. "Ich habe gepusht, um an ihn heranzukommen. Ich wollte unbedingt DRS haben. Leider bin ich nie in das Fenster von einer Sekunde zu Max geraten", bedauert der McLaren-Fahrer. Es war die Phase, in der Norris pushte, während sein Vordermann mehr nach den Reifen schaute. Verstappen kümmerte sich um die sensiblen Pirellis, ohne seinen Verfolger zu nahe kommen zu lassen. Norris kam nie näher als in Runde 14: Da lag er nur noch 1,163 Sekunden zurück.

"Genau das war der Moment, als das Pendel zu Verstappens Gunsten ausschlug", erinnert sich Stella. "Bei uns fielen die Rundenzeiten, während Verstappen konstant blieb oder sogar schneller wurde." Wieder einmal zeigte der Weltmeister seine Qualitäten als Reifenflüsterer. Sie waren notwendig, um dieses Sprintrennen schlussendlich souverän zu gewinnen. 17 der 20 Fahrer wagten es trotz Asphalttemperaturen von mehr als 50 Grad Celsius, auf der weichen Mischung zu starten. Eigentlich lag die kritische Grenze bei 45 Grad. Erst darunter sollte der rotmarkierte Pirelli sicher durchhalten.

Max Verstappen - Red Bull - GP Brasilien 2023 - Sprint
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Max Verstappen hielt seinen Verfolger stets in Schach.

Verstappen nicht eine Runde voll

Deshalb mussten die Piloten ein strenges Reifenmanagement betreiben. Verstappen und Norris wurden von ihren Teams auf einer leicht gebrauchten Soft-Garnitur in das verkürzte Rennen geschickt, um einen frischen Satz für das Hauptrennen aufzusparen. Verstappen zügelte im ersten Rennteil mehr den Gasfuß als Norris. Speziell in den schnellen Kurven sechs und sieben, McLarens Parade-Stellen, hielt er mit Bedacht zurück. "Max hat die Reifen so geschont, dass ihnen nicht viel Energie verloren ging", lobte Teamchef Christian Horner.

Erst im zweiten Rennteil durfte der Weltmeister mehr Gas geben. Doch immer mit Reifenmanagement im Hinterkopf. "Ich habe sie ab der Outlap gestreichelt. Im Rennen bin ich nicht eine Runde voll gefahren." Es reichte dennoch, um mit einem Vorsprung von 4,287 Sekunden den Zielstrich zu kreuzen.

Norris bedauerte: "In den letzten fünf Runden habe ich sehr gestrauchelt. Die Reifen brachen weg. Trotzdem war es ein gutes Rennen." Sprach's, bevor ein dickes Lob über seine Lippen ging: "Wir sprechen hier von Max, einem der besten Fahrer in der Geschichte der Formel 1, in einem der besten Autos überhaupt."

Weil der Reifen am Red Bull weniger stark abbaute, hätte Norris wohl auch ohne besseren Start nicht gewonnen. "Max hätte ihn sich geschnappt. In Brasilien kannst du überholen", sagt Teamchef Christian Horner. Sein Gegenpart bei McLaren stimmt zu. "Mit unserem Reifenverschleiß wären wir im zweiten Teil zu verwundbar gewesen."

McLaren im Rennen geschwächt?

Red Bull hat aus den schlechten Erfahrungen im Vorjahr gelernt. Damals trafen die Ingenieure das Setup auf dem welligen Kurs von Interlagos nicht. Es trieb die Autos ins Untersteuern, was erst die Vorderreifen zusammenbrechen ließ und danach die Hinterreifen. Dieses Mal hat Red Bull die Abstimmung besser getroffen. Die Vorderachse packt fester zu, auch wenn sie nicht beißt.

Die leichte Untersteuer-Tendenz lässt sich verkraften. Das Heck ist im Verhältnis zur Vorderachse stark, was es den Fahrern erlaubt, im Renntrimm ihre Hinterreifen zu schonen. Die Abstimmung greift dem zweiten Red-Bull-Piloten unter die Arme. Sergio Perez rückt immer dann näher an Verstappen heran, wenn das Auto untersteuert.

Der Mexikaner, Drittplatzierter im Sprint, ist überzeugt: "Mit einem besseren Start wäre mehr drin gelegen. Ich musste erst an den Mercedes vorbei. Das hat die Reifen zu sehr belastet." Der Teamchef lobte: "Sergio ist das ganze Wochenende gut unterwegs. Wir glauben weiterhin zu 100 Prozent an ihn. Es ist klar, dass er im nächsten Jahr unser zweiter Fahrer sein wird. Das wird er nur nicht sein, wenn er sich verletzt oder Unvorhersehbares dazwischenkommt."

Im Rennen muss sich Verstappen vorerst nicht um Norris sorgen. Er startet von Pole, der McLaren auf dem sechsten Platz. Mit Charles Leclerc, Lance Stroll, Fernando Alonso und Lewis Hamilton als Puffer dazwischen. "Die Startaufstellung sollte uns sehr entgegenkommen", frohlockt Red Bulls Sportchef Helmut Marko. Und wenn Norris doch nach vorne marschiert?

Red Bulls Ingenieure glauben, dass McLaren mit einem zu kleinen Heckflügel bestückt ist. Das bringt Topspeed. In dieser Konfiguration lassen sich die Reifen jedoch schlechter schonen. Am Sonntag soll der Wind drehen. Das könnte die McLaren zusätzlich belasten. Was haben wir sonst noch gelernt, am Samstag? Stella schildert, wo McLaren besonders gut ist. "In den Kurven sechs und sieben sind wir sehr schnell. Kurve elf sowie zwei und drei sind wir ebenfalls stark. Dort können wir glücklicherweise vieles gutmachen, was wir in den langsamen Passagen verlieren."

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