Falsches Setup für den Mercedes W14 in São Paulo
„Schlimmstes Wochenende in 13 Jahren“

GP Brasilien 2023

Mercedes spielte beim GP Brasilien nur eine Nebenrolle. Lewis Hamilton kämpfte mit Alpines und Alpha Tauris, und bei George Russell bahnte sich ein Motorschaden an. Schuld an der Schneckenfahrt war das Setup. Doch was genau ging schief?

Lewis Hamilton - Mercedes - GP Brasilien 2023 - Sao Paulo - Formel 1
Foto: Wilhelm

Es hatte sich mit den Startplätzen fünf und acht und einem vierten und siebten Platz im Sprint schleichend angedeutet. Mercedes war beim GP Brasilien weit von seiner Normalform entfernt. Was für ein Kontrast zum Vorjahr, als Mercedes einen Doppelerfolg mit beiden Autos in der ersten Startreihe feierte.

Zwölf Monate später verloren Lewis Hamilton und George Russell im Schnitt eine Sekunde pro Runde auf den Sieger. Nicht nur Red Bull war zu schnell für die Silberpfeile. Auch McLaren, Aston Martin und ein ebenfalls angeschlagener Ferrari lagen außer Reichweite. Hamilton kämpfte am Ende gegen Pierre Gasly und Yuki Tsunoda um Platz sieben. Das Duell mit dem Alpine verlor der WM-Dritte, das gegen den Alpha Tauri bestand er mit sieben Sekunden Vorsprung.

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Teamchef Toto Wolff konnte nichts Gutes an der Vorstellung seiner Autos finden. "Es war das schlimmste Wochenende der letzten 13 Jahre." Mercedes suchte nicht nur vergeblich den Speed, man verlor auch in seiner Paradedisziplin. Die Autos strapazierten ihre Hinterreifen, obwohl Hamilton das Gefühl hatte, das Problem etwas besser in den Griff bekommen zu haben als im Sprint.

George Russell - Mercedes - Formel 1 - GP Brasilien 2023 - Qualifikation
Wilhelm

Mercedes erlebte in Brasilien ein schlechtes Wochenende. Das Setup passte nicht beim W14.

Das Austin-Drama im Kopf

Danach war das Rätselraten groß. Eine Woche zuvor war Hamilton mit dem gleichen Auto in Mexiko noch auf den zweiten Platz gefahren. Chefingenieur Andrew Shovlin schloss daraus: "Es ist klar, dass wir beim Setup etwas komplett falsch gemacht haben." Toto Wolff verglich die extreme Formschwankung mit Aston Martin. "Die waren in Mexiko nirgendwo und wurden heute Dritter. Diese Autos sind eine Wundertüte, und diesmal hat es uns erwischt."


Mexico-City und Interlagos sind das totale Kontrastprogramm. Die eine Strecke eben und mit einheitlichen Kurven. Die andere wellig und einem Mix aus schnellen und langsamen Kurven, bei dem wieder Effizienz gefragt war. Dazu schrumpfte die Vorbereitungsphase in Brasilien wegen des Sprintformats auf 60 Minuten zusammen.

Es hat in dieser Saison fast immer drei Trainingssitzungen gedauert, bis die Mercedes-Ingenieure ihr launisches Fahrzeug optimal abgestimmt hatten. Die Setup-Arbeit am W14 war das ganze Jahr lang eine Gratwanderung. Dazu spukte im Team die Angst vor einer Wiederholung des Austin-Dramas im Kopf herum. Schon wieder ein Sprint mit 200 Kilometer mehr Belastung für die Schutzplanke unter dem Auto, schon wieder reichlich Bodenwellen und Randsteine im Weg, auf denen man sich die Skid-Blocks über Gebühr abschleifen konnte.

Lewis Hamilton - Mercedes - GP Brasilien 2023 - Sprint
Motorsport Images

Die Mercedes-Ingenieure stellten die Rennwagen von Hamilton und Russell aus Angst vor zu stark abgeschliffener Schutzplanken zu hoch ein.

Mercedes mit Reifenproblem in São Paulo

Wolff gab zu, dass man bei der Einstellung der Bodenfreiheit extrem konservativ vorgegangen ist. Ferrari ging es genauso, nur reagierte das rote Auto weniger empfindlich darauf. Weltfirmen wie Mercedes und Ferrari wollen kein zweites Mal mit einer Disqualifikation in Verbindung gebracht werden, auch wenn Austin ein Versehen und keine Absicht war.

Mehr Fahrzeughöhe war laut Wolff weder der alleinige noch der alles entscheidende Grund, warum die Autos so aus der Spur geworfen wurden. Der Österreicher vermutete auch einen gravierenden Fehler in der mechanischen Abstimmung. Möglicherweise waren die Autos hinten zur doppelten Absicherung auch noch zu hart gefedert.

Da nun weniger Abtrieb unter dem Auto produziert wurde, versuchte ihn Mercedes über die Flügel zurückzuholen und handelte sich dabei einen miserablen Topspeed ein. Die Fahrer waren damit im Zweikampf verwundbar. Hamilton fasste zusammen: "Heute waren wir auf den Geraden langsam, und sind trotzdem in den Kurven gerutscht." Das ging auf die Hinterreifen. So konnte der Mercedes nicht mal seine größte Qualität ausspielen. Er wurde vom Reifenstreichler zum Reifenfresser. "Es ging nur noch ums Überleben", dramatisierte der Teamchef.

George Russell - Mercedes - GP Brasilien 2023 - Sao Paulo - Formel 1
Wilhelm

Aufgrund des verwachsten Setups, fraß der W14 die Reifen stärker auf als üblich.

Motor im roten Bereich

Da sich die Pleite schon nach dem Sprint abzeichnete, überlegte man bei der Strategiebesprechung kurz, ob man nicht wenigstens ein Auto mit neuer Abstimmung und frischer Schutzplanke aus der Boxengasse hätte starten lassen sollen. Wolff bedauerte: "Wir wussten leider nicht, wie die bessere Lösung aussehen sollte. Deshalb waren wir von unseren Startplätzen auf Punkte-Maximierung aus."

Auch der Fakt, dass Mercedes mit hauptsächlich gebrauchten Reifen im Depot schlechter für die 71 Runden gerüstet war als der Großteil der Konkurrenten, liefert keine Erklärung. Ein Stratege im Team meinte: "Wir hätten heute zehn frische Reifensätze von jeder Sorte haben können, und wir wären nicht weiter vorne gelandet."

Die Komplexität dieser Groundeffect-Autos zeigt sich am besten darin, dass Mercedes 2022 auf dieser Rennstrecke alles richtig und diesmal fast alles falsch gemacht hat. "Das ist wirklich verwirrend", gab Wolff zu. "Vor einem Jahr hatten wir ein perfekt ausbalanciertes Auto, mit dem beide Fahrer super happy waren. Und jetzt hat uns keine der Erfahrungen von damals geholfen. Es würde mich nicht wundern, wenn wir in ein paar Tagen herausfinden, dass etwas mechanisch komplett daneben war."

Zu allem Überfluss musste das Team George Russell nach 57 Runden aus dem Rennen nehmen. Die Öltemperaturen stiegen in einen Bereich, in dem ein Motorplatzer kurz bevorstand. Der Ausfall ist verschmerzbar, weil Mercedes bei den letzten beiden Rennen in dünner Luft die ältesten Triebwerke im Auto hatte, die danach sowieso in den verdienten Ruhestand gegangen wären. Wenigstens eine gute Nachricht zum Schluss: Für Las Vegas und Abu Dhabi gibt es die frischesten Motoren aus dem Pool.

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