Schmidts F1-Blog zum neuen Sprint
Kein Vertrauen ins Produkt

GP Aserbaidschan 2023

Hat das neue Sprint-Format das gebracht, was sich seine Macher versprochen haben? Michael Schmidt findet, dass der Schuss eher nach hinten losgeht. Weil die permanenten Regeländerungen den Eindruck vermitteln, dass man dem eigenen Produkt misstraut.

Sergio Perez - GP Aserbaidschan 2023
Foto: Red Bull

Ich habe dem neuen Sprint-Format eine Chance gegeben und versucht die drei Tage in Baku möglichst vorurteilsfrei zu inhalieren und mit dem zu vergleichen, was wir kennen. Haben die zwei separaten Qualifikationen für den Sprint und das Hauptrennen die Rennsport-Welt aus den Angeln gehoben oder irgendetwas gebracht, was wir vorher nicht hatten?

Ich glaube nicht. Der neue Ablauf sollte mehr Action in drei Tage packen, die Spannung durch mehr Unberechenbarkeit erhöhen und so für Überraschungen sorgen. Er sollte den Schnellen ein Bein stellen und den Langsamen eine Chance geben. Nichts davon ist passiert, und dabei ist der Stadtkurs in Baku eigentlich dafür prädestiniert, das organisierte Chaos zu befeuern, weil hin und wieder mal einer die Mauer streift. Wenn in Baku alles normal verläuft, dann auf Strecken wie Spa oder Austin erst recht.

Unsere Highlights

Die Startaufstellungen für den Sprint und das Hauptrennen waren fast identisch und genau so erwartbar. Die vier Top-Teams brachten ihre Fahrer ausnahmslos in die Top Ten, sogar Aston Martin trotz Ausfall des DRS. Die einzige Frage bestand darin, wer die restlichen beiden Plätze besetzt. Weil Fehler im Sprint nicht mehr im Rennen bezahlt werden, fehlt das Überraschungsmoment für das Hauptrennen.

Sergio Perez - GP Aserbaidschan 2023 - Red Bull
Motorsport Images
Besonders viel Action bekamen die Fans im Sprint nicht geboten.

Risikofaktor erhöht sich nicht

Die Fahrer gehen beim Mini-Rennen trotzdem nicht mehr Risiko. 13 Überholmanöver sind kein Argument für das neue Format, zumal neun davon begünstigt wurden, dass bei Lando Norris, Nico Hülkenberg und Valtteri Bottas die Reifen einbrachen. Okay, eine zusätzliche Qualifikation ist spannender als ein Freies Training. Trotzdem besteht die Gefahr der Übersättigung.

Da sollte man sich von kurzfristig steigenden TV-Quoten am Freitagnachmittag und Samstagvormittag nicht blenden lassen. Er könnte das F1-Management dazu bewegen, noch mehr Sprint-Wochenenden in den Kalender einzubauen. Im Moment müssen die Zuschauer schon 29 Ergebnisse verdauen. Das birgt die Gefahr, dass man sich schon nach einem halben Jahr an einzelne Rennen gar nicht mehr erinnern kann, weil es einfach zu viele sind.

Ich habe nichts gegen die Sprint-Idee an sich, kann auch damit leben, dass er bei sechs der 23 Grands Prix Abwechslung schafft. Doch irgendwie war das alte Format logischer. Ein Event baute auf dem anderen auf. Der Mini-Grand Prix am Samstag war einfach eine andere Form der Qualifikation, die dann die endgültige Startaufstellung festgelegt hat.

Williams - Formel 1 - GP Aserbaidschan - 28. April 2023
xpb
Ein zusätzliches Qualifying ist besser als ein Freies Training. Aber man muss das neue Format den Fans erst einmal erklären.

Erklärung notwendig

Dass Fehler im Sprint auch im Hauptrennen bestraft wurden, war exakt der Reiz, den sich die Regisseure wünschen. Weil es hin und wieder einen der Favoriten erwischt hat, der dann am Sonntag eine Aufholjagd inszenieren musste. Jetzt muss man erklären, welches Training für welches Rennen zählt. Das ist immer schlecht. Der Ausgang des Rennens ist für mich eher berechenbarer geworden, weil man alles schon einmal erlebt hat, nur in einem kürzeren Rahmen.

Die Formel 1 hat in den letzten 40 Jahren über 50 Regeln mit dem Ziel geschrieben, künstlich Spannung zu erzeugen. Das ist nicht souverän, weil es den Eindruck vermittelt, dass man dem eigenen Produkt misstraut. Noch weniger überzeugend ist, dass man alle Teams und Fahrer dazu vergattert, das neue Format gut zu finden und sich darüber aufregt, wenn es Max Verstappen nicht gefällt.

Ich finde, man sollte nicht jedem Trend hinterherlaufen. Das neue Format bedient eine neue junge Klientel, deren Aufmerksamkeitsspanne nicht weiter reicht als einen TikTok-Clip. Wir sollten genug Selbstvertrauen haben, das neue Publikum so zu erziehen, dass es unser Produkt gut findet. Ein Schnellimbiss war noch nie so gut wie ein Sterne-Restaurant.

Live
GP Imola