Trainingsanalyse GP Kanada 2023
Ferrari-Revival in Montreal?

GP Kanada 2023

Am Freitag in Montreal führte Red Bull ausnahmsweise mal nicht die Ranglisten an. Auf eine Runde liegt Mercedes vorne, im Longrun Ferrari und Aston Martin. Ist bei Ferrari endlich der Knoten aufgegangen?

Carlos Sainz - Ferrari - Formel 1 - GP Kanada - 16. Juni 2023
Foto: xpb

Es war kein runder Trainingstag in Montreal. Die erste Sitzung wurde nach viereinhalb Minuten abgebrochen und nicht wieder angepfiffen. Das Signal der Überwachungskameras kam mit Verzögerung bei der Rennleitung an. Das war ein Sicherheitsrisiko. Die auf 90 Minuten verlängerte zweite Sitzung musste zwei Mal unterbrochen werden. Neun Minuten wegen eines Motorschadens von Nico Hülkenberg, fünf Minuten wegen eines Wasserlecks im Alpine von Esteban Ocon. Neun Minuten vor Schluss setzte an Teilen der Strecke Regen ein.

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Der Vergleich der Zeiten auf eine Runde und im Longrun ist mit Fragezeichen behaftet. Der Zeitpunkt spielte eine genauso große Rolle wie der Zustand der Reifen. Jeweils die Hälfte des Feldes fuhr die Dauerläufe mit frischen oder angefahrenen Reifen.

Mercedes legte seine Longruns an den Anfang, als die Strecke noch grün war. Deshalb tauchen Lewis Hamilton und George Russell in der Rennsimulation im hinteren Mittelfeld ab. Dafür gaben sie auf eine Runde den Ton an. Weil nur noch Fernando Alonso aus den Top Ten später auf seine schnellen Runden gegangen ist. Der Spanier brauchte allerdings dafür einige Anläufe. Da waren die Soft-Reifen schon über ihren Zenit hinaus.

Ferrari war in beiden Disziplinen konkurrenzfähig. Auf eine Runde ist das keine Überraschung. Im Longrun schon. Schneller als Charles Leclerc war nur noch Fernando Alonso. Der umgebaute Aston Martin brauchte ein bisschen Setup-Arbeit, doch dann erwies er sich als Volltreffer. Ferrari tritt mit identischen Autos wie in Barcelona an. Das Geheimnis der Wende: Ferrari hat beim Pirelli-Test nach dem Grand Prix sein Auto besser verstehen gelernt.

Charles Leclerc - Ferrari - Formel 1 - GP Kanada - 16. Juni 2023
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Am Ende der zweiten Session kam der große Regen. Auch im Qualifying könnte es feucht werden.

Sechs Dinge, die Sie wissen müssen…

Ist Ferrari wirklich so stark?

Zwei Ferrari vor Red Bull: Wann hat man das zuletzt gesehen? Carlos Sainz war mit 1.13,844 Minuten der erste Fahrer, der die 1.14er Marke knackte. Erst später zogen die Mercedes-Piloten nach. Charles Leclerc war zwei Zehntel langsamer als sein Teamkollege und 48 Tausendstel schneller als Max Verstappen, der seine Zeit allerdings zwölf Minuten früher fuhr als Sainz. Dass Ferrari auf eine Runde schnell ist, wissen wir. Doch wie sieht es mit Ferraris Longruns aus?

Red Bull-Sportchef Helmut Marko machte ein besorgtes Gesicht: "Der Longrun von Leclerc war sehr gut. Auf die müssen wir aufpassen." Zumal bei Red Bull noch nicht alles glatt lief. "Unsere Autos liegen noch zu unruhig auf der Strecke." Verstappen bestätigte: "Unser Auto ging nicht so toll über die Bodenwellen und die Randsteine."

Auch beim Aero-Setup gibt es noch Fragezeichen. "Unsere Fahrer waren mit unterschiedlicher Frontflügel-Anstellung unterwegs." Über Mercedes macht sich Marko trotz der Bestzeiten keine Sorgen. "Die sind ihre Zeit viel später gefahren als wir. Da war die Strecke schon deutlich besser. Außerdem haben sie den Motor voll aufgedreht."

Die starke Form der Ferrari kommt nach der Pleite beim GP Spanien überraschend. Trotzdem war das Team zuversichtlich nach Montreal gereist. Nicht nur, weil die Strecke nicht so viel Reifengummi frisst wie der Circuit de Catalunya. Ferrari hat die zwei Testtage für die 2024er Pirelli-Reifen im Anschluss an den Grand Prix dazu genutzt, das Upgrade des SF-23 besser kennenzulernen. Und das war ein Volltreffer.

Die Ingenieure stellten im Rückblick fest, dass die beiden Ferrari am Rennwochenende völlig falsch eingestellt waren. Schon beim Test war ein Riesensprung nach vorne zu erkennen. Der Lernprozess wirkte. Die Rundenzeiten im Longrun waren konstant schnell, die Fahrer hatten Vertrauen in ihre Autos, und der Ferrari harmonierte mit allen drei Reifenmischungen.

Lewis Hamilton - Mercedes - Formel 1 - GP Kanada - 16. Juni 2023
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Lewis Hamilton setzte in Montreal die Tagesbestzeit.

Was für ein Programm fuhr Mercedes?

Bis zur roten Flagge, die Nico Hülkenberg nach 31 Minuten mit seinem Motorschaden auslöste, standen die beiden Mercedes auf den Plätzen 19 und 20, obwohl Lewis Hamilton und George Russell bereits 16 respektive 17 Runden zurückgelegt hatten. Beide wurden sofort auf Medium-Reifen in einen Longrun geschickt, während die Konkurrenz noch am Setup herumtüftelte.

Grund für die Programmänderung war die Ankündigung, dass es in den letzten 20 Minuten des Trainings regnen könnte. 30 Minuten vor Abpfiff fuhren sich die Silberpfeile in die virtuelle erste Reihe. Mit knappem Vorsprung auf die zwei Ferrari und Alonso. Der Regen kam erst später.

In den Rennsimulationen sehen die Mercedes eher bescheiden aus. Doch das liegt daran, dass Hamilton und Russell ihre Dauerläufe auf einer grünen Strecke abgespult haben, während die Konkurrenz viel bessere Streckenbedingungen vorfand.

Chefingenieur Andrew Shovlin fasste den Tag zusammen: "Wir waren mit unserem Programm ein Einzelfall, und unsere Arbeit mit wenig Benzin an Bord profitierte daher von einer besseren Streckenentwicklung, als sie der Rest des Feldes vorfand. Das war der Hauptgrund dafür, dass wir an der Spitze der Zeitenliste landeten. Alles in allem schienen das Auto und die Reifen in einem guten Fenster zu sein. Es gibt aber Verbesserungsbedarf. Wir müssen versuchen, ein stabileres Heck zu finden. Und ob wir die Fahrzeughöhe auf dieser holprigen Strecke verbessern können, denn das würde uns helfen, mehr Speed in die Schikanen mitzunehmen."

Lance Stroll - Aston Martin - Formel 1 - GP Kanada - 16. Juni 2023
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Aston Martin brauchte etwas, kam dann aber doch noch in Schwung.

Funktionieren die Upgrades bei Aston und Williams?

Aston Martin brauchte lange, bis man auf Speed kam. Das Setup wurde immer wieder umgebaut. Dann legte Fernando Alonso zuerst eine Runde hin, bei der er im ersten Sektor absolute Bestzeit aufstellte aber in den beiden nächsten Abschnitten verlor. Und dann eine, in der im ersten Sektor zwei Zehntel rausnahm, dafür in Sektor 2 und 3 seine persönlichen Bestwerte aufstellte. Am Ende atmete man bei Aston Martin auf. Die Plätze 4 und 9 sind ein respektabler Einstand.

Und auch Alonsos Longrun auf den Medium-Reifen. Der Spanier war mit einem Schnitt von 1.17,371 Minuten der Schnellste. "Wir haben viel probiert, um das neue Paket besser kennenzulernen. Bis jetzt läuft alles nach Plan", erzählte Chefingenieur Tom McCullough. Das Lernprogramm umfasste auch den Einsatz unterschiedlicher Flügel. Fernando Alonso fuhr mit mehr Abtrieb, Lance Stroll mit weniger.

Bei Williams war man mit dem Debüt seines Radikalumbaus hochzufrieden. "So wie es aussieht, war Albon aber auch Bottas im Sauber an den Alpine dran", freute sich Teamchef James Vowles. Alexander Albon fuhr aus dem Stand ansprechende Zeiten, sattelte dann aber früh auf Medium-Reifen und Longruns um. Da lag Albon im Bereich von Gasly, Sainz, Perez und Norris.

Deshalb täuscht der 17. Platz im Klassement über das Potenzial des Upgrades hinweg, bei dem man getrost von einer B-Version sprechen darf. Vowles verglich: "Der Umfang ist so groß wie beim Upgrade von Mercedes." Albon war damit um vier Zehntel schneller als Logan Sargeant mit der alten Version. Einsatzleiter Dave Robson gab ein Pauschalurteil ab: "Es ist ein guter Schritt, der uns einige Zehntel bringen sollte. Damit wären wir zurück im Mittelfeld."

Pierre Gasly - Alpine - Formel 1 - GP Kanada - 16. Juni 2023
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Die Alpine-Technik zickte am Freitag in Montreal.

Was war mit Alpine los?

Die Szenen erinnerten an Baku. Beide Alpine blieben auf der Strecke liegen. Bei Pierre Gasly mit weniger Auswirkungen als bei Esteban Ocon. Kurz nachdem das Auto mit der Startnummer 10 strandete, wurde das erste Training komplett abgeblasen. Ocon verlor wegen des Wasserlecks, das ihn zum Anhalten zwang, wichtige Trainingszeit. Der lange Franzose drehte nur 17 Runden. "Ich hoffe, wir können im dritten Training die verlorene Zeit wieder wettmachen", meinte Ocon und betet, dass es dann nicht regnet. Die Wettervorhersagen für Samstag kündigen schlechtes Wetter an.

Pierre Gasly rollte in der ersten Sitzung in seiner zweiten Runde auf der Strecke aus. Der Franzose forderte mit den Schaltwippen Gänge an, bekam sie aber nicht. Ein Notprogramm öffnete die Kupplung. Sie ließ nicht mehr schließen.

Des Rätsels Lösung: Alpine fährt in den ersten Runden immer mit Ersatz-Lenkrädern, um zu prüfen ob sie funktionieren. Bei Gasly versagte der Kontakt zwischen Lenkrad und seinen Abnehmern. Weil sich das Auto nicht vom Fleck bewegte, wurde das Training nach viereinhalb Minuten gestoppt. Zurück in der Box wurde das Renn-Lenkrad aufgesteckt und alles lief wieder nach Plan. Gaslys Longruns waren vielversprechend. Auf den Medium-Reifen landete er mit 1.17,714 Minuten auf einem guten vierten Platz hinter Alonso, Leclerc und Verstappen.

Nico Hülkenberg - Haas - Formel 1 - GP Kanada - 16. Juni 2023
Motorsport Images
Den Haas-Mechanikern steht eine große Reparatur bevor.

Was bedeutet der Motorschaden für Hülkenberg?

Nico Hülkenberg kam gerade elf Runden weit. Dann sendete sein Ferrari-Motor weiße Rauchsignale aus. Augenzeugen berichten von einem Loch im Block. Die herumfliegenden Trümmer beschädigten auch noch das Getriebe und die Hydraulik. Das wird eine lange Nacht für die Haas-Mechaniker. Wenigstens musste Hülkenberg nicht weit laufen. Der Haas rollte hinter der Boxenausfahrt aus.

Hülkenbergs Motorenkontingent stand vor dem Schaden bei zwei von vier. "Ich bin nur drei wirklich schnelle Runden gefahren. Damit habe ich im Vergleich zu den anderen einen echten Informationsrückstand." Für den Deutschen besonders ärgerlich, weil er seit 2019 nicht mehr in Montreal gefahren ist. Sein erster Eindruck. "Sehr, sehr wellig. Das kann im Rennen weh tun."

Für Haas war der Ausfall des ersten Trainings ärgerlich. Die Ingenieure ließen den neuen Unterboden bei Hülkenberg wieder abbauen. "Wir brauchen den alten als Basis. Vielleicht probieren wir den neuen im dritten Training aus", berichtete Teamchef Guenther Steiner.

Während Hülkenberg mit seinem Auto noch nicht so zufrieden war, blickte Kevin Magnussen freundlicher drein. Er testete den neuen Heckflügel mit einer Stelze. Der Däne markierte die zwölftschnellste Zeit. Die Ingenieure waren auch mit den Longruns zufrieden. Es sieht deutlich besser als in Barcelona aus.

Mercedes - Formel 1 - GP Kanada - 16. Juni 2023
xpb
Die Rennwagen durften nach der Unterbrechung in der ersten Session nicht mehr auf die Strecke gehen. Die Technik der Rennleitung streikte.

Warum dauerte das erste Training nur viereinhalb Minuten?

Das erste Training kam nie richtig in Fahrt. Zuerst rollte Pierre Gasly mit einem Defekt auf der Strecke aus. Das provozierte eine rote Flagge. Was normalerweise nur eine kurze Pause bedeutet hätte, war faktisch das Ende der Trainingssitzung. Die Überwachungskameras an der Strecke lieferten die Bilder nur mit 15 Sekunden Verspätung an die Rennleitung.

Der erste Verdacht war, dass es am Runterfahren der kompletten Elektrik auf der Strecke und in den Garagen wegen Stromproblemen gelegen haben könnte. Tatsächlich aber war eine schadhafte Glasfaserverbindung schuld. Ohne lückenlose Überwachung fährt in der Formel 1 heute kein Auto mehr.

Die Formel 1 bastelte an einer Notlösung, für den Fall dass sich das Problem nicht auf die Schnelle beheben lässt. Der Rennleitung wurden als Ersatz Bilder aller TV-Kameras angeboten. Der Rennleiter brach das Training zehn Minuten vor dem eigentlichen Ende vorzeitig ab und versprach den Teams eine Verlängerung der zweiten Sitzung um 30 Minuten. Die erste Bestzeit ging mit 1.18,728 Minuten übrigens an Valtteri Bottas. Die kann er sich einrahmen lassen. So schnell wird der Finne nicht mehr auf dem ersten Platz stehen.

Longrun-Zeiten - GP Kanada 2023

Fahrer

Ø Rundenzeit

Runden

Reifentyp

Stint

Gasly

1.17,548 min

8

Soft alt

2

Magnussen

1.18,589 min

4

Soft alt

2

Alonso

1.17,371 min

9

medium neu

1

Leclerc

1,17,550 min

14

medium neu

1

Verstappen

1.17,563 min

17

medium neu

1

Gasly

1.17,714 min

13

medium neu

1

Sainz

1.17,823 min

14

medium alt

1

Perez

1.17,862 min

13

medium neu

1

Norris

1.17,921 min

17

medium neu

1

Albon

1.17,954 min

17

medium neu

1

Bottas

1.18,099 min

11

medium alt

1

Piastri

1.18,437 min

13

medium alt

1

Hamilton

1.18,477 min

16

medium neu

1

Russell

1.18,558 min

17

medium neu

1

De Vries

1.18,805 min

3

medium alt

1

Magnussen

1.19,007 min

16

medium alt

1

Sargeant

1.19,205 min

19

medium alt

1

Leclerc

1.17,024 min

4

hart neu

2

Sainz

1.17,548 min

7

hart neu

2

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