Technik-Upgrade und Strategie-Coup
So gelang das Williams-Wunder

GP Kanada 2023

Alex Albon hat in Montreal das beste Williams-Ergebnis seit Jahren eingefahren. Schon in der zweiten Qualifikations-Runde setzte der Thailänder die Tagesbestzeit. Für das unerwartet starke Wochenende mussten aber viele Faktoren zusammenkommen.

Alex Albon - Williams - GP Kanada 2023
Foto: Motorsport Images

Dass ein Williams-Pilot zum Fahrer des Rennens gewählt wird, kommt eher selten vor. Doch Alex Albon hat sich mit seiner Gala-Vorstellung in Montreal die Stimmen der Formel-1-Fans redlich verdient. Der siebte Platz schaufelte sechs bitter benötigte WM-Punkte auf das Teamkonto. So weit vorne landete nicht einmal George Russell mit dem Williams, wenn man mal das Safety-Car-"Rennen" 2021 in Spa-Francorchamps ausklammert. Unter normalen Umständen kam der Traditionsrennstall zuletzt 2017 so weit vorne ins Ziel.

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"Wir hatten eine gute Pace in Montreal", freute sich der Held des Tages. "Trotzdem war es immer noch schwer, in die Punkte zu fahren. Die ersten acht Plätze sind normalerweise durch die vier Top-Teams Red Bull, Aston Martin, Mercedes und Ferrari besetzt. Und die letzten zwei Punkteplätze gehören aktuell eigentlich dem Alpine."

Alex Albon - Williams - GP Kanada 2023
Williams
Albon musste im Rennen viel in den Rückspiegel schauen.

Williams flunkert Albon an

Also musste sich Williams etwas mit der Taktik überlegen. Als einziger Fahrer in seinem direkten Umfeld wurde Albon auf eine Einstoppstrategie geschickt. Nach dem Reifenwechsel in der Safety-Car-Phase verlangte der Kommandostand von seinem Piloten einen extrem langen zweiten Stint über 58 Runden.

Damit der Pilot nicht die Motivation verliert, wendeten die Ingenieure einen Trick an, der aber nicht ganz zündete: "Die Jungs haben mir irgendwann gesagt, dass nur noch 20 Runden zu fahren sind. Ich habe dann aber auf den Videowänden gesehen, dass es noch 35 oder 40 waren. Ich hatte gehofft, dass es nicht wahr ist."

Albon leistete sich bei seiner Verteidigungsschlacht mit alten Reifen keine Fehler: "Ich bin nun schon mehrere solche Rennen gefahren. Besonderen Spaß machen sie nicht. Mit unserem Auto, das stark auf den Geraden ist, kann man aber gut verteidigen. Ich musste nur irgendwie die Reifen am Leben halten. Je stärker sie abgefahren waren, desto schwieriger war es, sie auf Arbeitstemperatur zu halten."

Alex Albon - Williams - GP Kanada 2023
Williams
Schon im Qualifying bei feuchten Bedingungen konnte Albon glänzen.

Kein großer Quali-Poker

Schon im Qualifying am Tag zuvor hatte Albon glänzen können. Im Q2 setzte er die schnellste Zeit des Tages. Dabei half ebenfalls eine mutige Entscheidung. Während die Konkurrenz zu Beginn der Session noch auf Intermediates setzte, probierte es Albon auf der halbfeuchten Piste mit Slicks. Er konnte sich dadurch am längsten auf die Bedingungen einstellen und setzte diesen Vorteil mit der Bestmarke der Session um.

Laut Chefingenieur Dave Robson habe es sich dabei nicht um ein riskantes Pokerspiel gehandelt: "Wir waren überzeugt, dass es zu diesem Zeitpunkt die richtige Entscheidung ist. Alex war dabei voll eingebunden. Er musste es ja umsetzen. Er wusste, dass die erste fliegende Runde nicht direkt die schnellste sein wird. Aber wir wussten, dass uns das Wetter ein Fenster für mehrere Anläufe gibt."

Es war aber nicht so, dass Williams nichts zu verlieren hatte. Schon im Q1 deutete Albon mit Rang sechs an, dass ihm die Bedingungen liegen. "Ob wir die gleiche Entscheidung auch getroffen hätten, wenn wir das schnellste Auto gehabt hätten, ist schwer zu sagen. Ich hoffe aber, dass wir das in Zukunft herausfinden, wenn wir irgendwann in dieser Position sind", so Robson.

Alex Albon - Williams - GP Kanada 2023
Williams
Der Unterboden und die Seitenkästen wurden komplett überarbeitet.

Upgrade deutet Potenzial an

Ein starker Fahrer und mutige Entscheidungen vom Kommandostand waren aber nur zwei der Faktoren, die zu einem starken Montreal-Wochenende beigetragen haben. Williams brachte dazu noch sein erstes großes Upgrade der Saison. Wegen begrenzter Produktionskapazitäten konnte aber nur ein Auto damit bestückt werden. Logan Sargeant wird erst in Spielberg in den Genuss der neuen Teile kommen.

"Die meiste Arbeit haben wir versteckt in die Unterseite des Unterbodens investiert", verrät Robson. "Die Bilder von den Top-Autos aus Monaco sind in den Designprozess aber nicht eingeflossen. Es ist vom Detailgrad sicher noch kein Red Bull. Aber wenn man das Auto mit einem Kran heben würde, könnte man die Unterschiede zu vorher schon erkennen. Ich hoffe natürlich nicht, dass das Auto so schnell wieder an einem Kran hängt."

Neben dem Unterboden wurden auch die Seitenkästen überarbeitet. Sie tragen nun an der Oberseite eine tiefere Rinne. "Dazu gibt es noch ein paar Kleinigkeiten, wie die Spiegelbefestigungen und das kleine Winglet nebendran, die dabei helfen, die Luftströmung nach unten zu dirigieren. An das neue Strömungsbild wurden auch die Hinterradaufhängung und die Bremshutzen angepasst", erklärt Robson.

Alex Albon - Williams - GP Kanada 2023
Motorsport Images
Mit dem siebten Platz brachte Albon sein Team weg vom letzten Platz im Konstrukteurspokal.

Letzte Ausbaustufe der Saison

Sinn der Übung war es, mehr Abtrieb zu gewinnen. Vor allem die Anströmung der Innenseite der Hinterräder wurde verbessert, wo viele kleine Flügelchen das Heck auf den Asphalt pressen. Die neue Aero-Philosophie sei laut Robson auch schon ein Vorgriff auf die kommende Saison. "Wenn es so funktioniert, wie wir uns das erhoffen, dann stellt es die Basis für das nächste Auto dar."

Ganz trauen die Ingenieure dem Braten aber noch nicht, weil Montreal eine besondere Strecke ohne schnelle Kurven ist. Maximaler Abtrieb spielt hier nicht die große Rolle. "Wir konnten an unseren Messdaten und dem Feedback von Alex erkennen, dass es funktioniert. Was die Stoppuhr angeht, wird man den Fortschritt aber erst auf den nächsten Strecken sehen. Die zwei schnellen Linkskurven in Österreich dürften einen ersten Hinweis darauf geben, wie gut es wirklich ist. Spätestens in Silverstone sollten dann alle Fragen beantwortet sein."

Laut Robson handelte es sich bei der Ausbaustufe von Montreal bereits um den letzten großen Schritt in diesem Jahr. Der Plan der Ingenieure sieht vor, sich frühzeitig auf die Entwicklung des 2024er Modells zu konzentrieren: "Wir werden sicher noch etwas Feintuning betreiben. Da haben wir noch ein paar Kleinigkeiten in der Pipeline. Danach wird es dann aber relativ schnell ruhiger. Wir werden sicher nichts machen, was die Entwicklung des nächstjährigen Autos beeinträchtigt."

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