Das Ärgernis mit den Streckenlimits
47 Verstöße in Spielberg-Quali

GP Österreich 2023

Die Qualifikation zum GP Österreich war nicht nur auf der Strecke spannend. 47 Mal wurden wegen der Überschreitung der Streckenlimits Rundenzeiten gestrichen. Gibt es einen Ausweg aus dem Ärgernis?

Carlos Sainz - Ferrari - Formel 1 - GP Österreich - Spielberg - Freitag - 30.6.2023
Foto: Motorsport Images

Es ist ein Problem, das den Red Bull-Ring begleitet, seit es ihn gibt. In drei Kurven begrenzt eine weiße Linie innerhalb des Randsteins die Rennstrecke. Wer mit allen vier Rädern drüberfährt, verliert seine Rundenzeit. In der Qualifikation ist das 47 Mal passiert. 33 Mal in Kurve 10, zwölf Mal in Kurve 9, zwei Mal in Kurve 6.

Die letzten beiden Kurven der Strecke sind der wunde Punkt. Früher einmal hielten hohe Randsteine, die sogenannten "Sausage Kerbs", die Fahrer davon ab, die Strecke zu verlassen. Wer trotzdem darüber fuhr, richtete großen Schaden am Auto an.

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Für die Motorräder waren die hohen Randsteine zu gefährlich. Also wurden sie durch flachere ersetzt. Darüber sind auch die Formel-1-Fahrer glücklich. "Wenigstens sind die gelben Abweiser nicht mehr da", erzählte Pole-Setter Max Verstappen nach einer Qualifikation voll Diskussionsstoff.

Verstappen - Sainz - Leclerc - Formel 1 - GP Österreich - Spielberg - Freitag - 30.6.2023
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Die Fahrer diskutieren über die Anwendung der Track Limits. Sollte die FIA lockerer damit umgehen?

Zehn Beobachter für drei Kurven

Der Abbau der "Sausage Kerbs" lud die Fahrer ein, über die Randsteine zu räubern und so den Radius der Kurve zu vergrößern. Daraufhin wurde die Verletzung der Streckenlimits geahndet. Die im Asphalt eingelassenen Sensoren sind jedoch zu ungenau. Deshalb wird jede Verletzung von einer Armada von Hilfskräften visuell überwacht. An der Strecke stehen vier Mitarbeiter zur Verfügung. Im Lagezentrum der FIA in Genf sind es bei Notfällen bis zu sechs Helfer, die zuarbeiten.

Wenn ein Signal ausgelöst wird, beginnt die Untersuchung. Am hilfreichsten sind dabei in die Kerbs eingelassenen Kameras, die die Autos aus einer tiefen Position erfassen. Es werden im Zweifel aber auch die Bordkameras, Hubschrauberbilder, das Weltbild der TV-Kameras und die Bilder der Streckenkameras ausgewertet. Gerade die zeigen noch einmal eine ganz andere Perspektive, und wurden beispielsweise Sergio Perez in einem Fall zum Verhängnis.

Wenn dann immer noch nicht eindeutig ermittelt werden kann, ob der Fahrer mit allen vier Rädern jenseits der weißen Linie war, gilt der Rechtsgrundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten.

Russell und Perez als Opfer

Verstappen erklärt die Flut an Übertretungen, zu denen er auch vier Mal beigetragen hatte, in erster Linie so: "Die beiden letzten Kurven sind so schnell, dass es schwer ist abzuschätzen, wie weit du auf die Linie drauffährst." Außerdem geraten ausgerechnet in diesem Teil die Reifen bereits ans Limit. "Du bist nahezu am Ende der Runde und die Reifen werden heiß. Dann ist das Auto nicht mehr so agil, was uns Fahrern das Leben weiter erschwert."

Auch der Charakter der Zielpassagen leistet einen Beitrag. Die Autos stechen zwischen den schnellen Kurven neun und zehn in eine Senke. "Die Autos werden leicht. Wenn du die Kurve nur leicht falsch ansetzt, treibt es dich am Ausgang hinaus", referieren Verstappen und Charles Leclerc im Gleichklang.

George Russell und Sergio Perez kosteten die Streckenlimits das Weiterkommen ins Q3. Bei Russell kam die Meldung von der Rennleitung so spät, dass Mercedes nicht mehr reagieren konnte. Perez erwischte es kurz hintereinander gleich zwei Mal. Seine schnellste Runde hätte Platz 2 im Q2 bedeutet.

Aston-Martin-Teamchef Mike Krack erzählt. "Bei uns lag Lance zwei Mal und Fernando ein Mal drüber. Wir haben den Fahrern dann gesagt, dass sie in Kurve 9 und 10 konservativ fahren sollen. Da sind dann ein bis zwei Zehntel liegengeblieben. Aber ich nehme an, das ging allen so." Verstappen bestätigt: "Ich habe im Q3 mehr Puffer gelassen." Beim Zweitplatzierten Leclerc war es anders herum. "Im Q1 und Q2 waren die Kurven 9 und 10 mein wunder Punkt. Im Q3-Finale musste ich das Limit dort ausreizen, was mir gut gelungen ist."

Max Verstappen - Red Bull - GP Österreich 2023 - Spielberg
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Wer über die weiße Linie gerät, dem wird die Rundenzeit aberkannt.

Gibt es eine Lösung?

Nach der Qualifikation wurde eifrig über Lösungen des Problems diskutiert. Helmut Marko fühlte sich als Hausherr angesprochen. "An uns liegt es nicht. Wir machen alles, um das Problem aus der Welt zu schaffen. Meiner Meinung nach wäre ein Kiesbett das Beste. Das hält die Fahrer davon ab, zu schnell in die Kurve reinzufahren. In Kurve 4 geht das ja auch."

Doch ausgerechnet sein Chefpilot gibt zu bedenken: "Die Streckenbetreiber können es nicht jedem recht machen. Mir wären Kiesbetten auch lieber. Doch die MotoGP hat andere Anforderungen als die Formel 1. Die Motorräder fahren auf vielen Rennstrecken, auf denen auch wir sind. Sie jedes Mal anzupassen, wäre zu teuer."

Verstappens Vorschlag ist ein anderer: "Auf vielen Strecken würde es schon reichen, wenn man die weiße Begrenzungslinie verbreitert. Dann können wir sie besser sehen." Leclerc bevorzugt eine andere Lösung. "Wir sollten nicht die weiße Linie, sondern die Kerbs als Referenz nehmen. Wenn wir da drüberfahren, merken wir es durch die Vibrationen im Körper. Wir hätten also nicht nur unsere Augen als einziges Hilfsmittel."

Um Diskussionen käme man aber auch dann nicht herum. Fahrer reizen Limits aus. Sie würden sich bis an die äußerste Kante der Randsteine herantasten – und manchmal zu weit gehen. So steht die Formel 1 vor einem Grundübel, mit dem man auf speziellen Rennstrecken wie Spielberg wohl leben muss. Auch wenn sie dabei "dumm aussieht", wie Weltmeister Verstappen nach der Qualifikation befindet.

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