Rennanalyse GP Kanada 2023
Schwacher Red Bull noch zu stark

GP Kanada 2023

In Montreal ging die Red-Bull-Siegesserie in die neunte Runde. In der Rennanalyse verraten wir, warum die Verfolger näher dran waren als sonst, wie Alex Albon sechs WM-Punkte einfuhr und warum man sich bei McLaren über die FIA-Schiedsrichter ärgerte.

Start - Formel 1 - GP Kanada 2023
Foto: Wilhelm

Haben die Red-Bull-Verfolger aufgeholt?

Klammert man die Safety-Car-Zielankunft in Melbourne aus, dann fehlten der Red-Bull-Konkurrenz bisher immer mindestens 20 Sekunden auf den Sieger. In Montreal rollte Fernando Alonso nach 70 Runden "nur" 9,5 Sekunden hinter Max Verstappen über den Zielstrich. Und auch Lewis Hamilton auf Rang drei konnte das Red-Bull-Tempo einigermaßen mitgehen.

"Wir haben sogar noch mit Problemen gekämpft. Wenn alles glattläuft, können wir Red Bull hoffentlich bald herausfordern. Wir haben es ihnen bisher zu einfach gemacht", blickte Alonso optimistisch in die Zukunft. Die angesprochenen Probleme stellten sich nach dem Rennen als Fehlalarm heraus. Sensoren deuteten einen Defekt im Benzinsystem an. Aus Angst zu viel Sprit zu verbrauchen, wurde Alonso angewiesen, vor den Kurven früher vom Gas zu gehen. Das kostete eine bis zwei Zehntel pro Runde.

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Nach der leichten Formdelle in Barcelona konnte Aston Martin mit dem großen Montreal-Upgrade zurückschlagen. Die Ingenieure zeigten sich erfreut, dass der im Windkanal berechnete Fortschritt voll auf der Strecke ankam.

Mercedes hatte seine große Ausbaustufe schon in Monaco gezündet. Bis zur Sommerpause sollen noch zwei weitere Upgrades nachgelegt werden. Sollten die so gut funktionieren wie das erste, traut sich Mercedes zu, Red Bull schon in der zweiten Saisonhälfte herauszufordern.

Die Konkurrenz hat Blut geleckt. Doch ganz repräsentativ war das Bild in Montreal nicht. Dem Red Bull RB19 schmeckte das Layout des schnellen Stadtkurses nicht besonders. Dann kämpfte Verstappen im Rennen mehr als die Konkurrenz damit, die Reifen bei kühlen Bedingungen im Arbeitsfenster zu halten. "Es war mehr unsere Schwäche als die Stärke der anderen, die den Vorsprung kleiner ausfallen ließ", analysierte Sportchef Helmut Marko.

Charles Leclerc - Formel 1 - GP Kanada 2023
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Die Ferrari zeigten bei freier Fahrt, welches Tempo sie gehen können.

Wie kam Ferrari nach vorne?

Auch Ferrari hat einen Schritt nach vorne gemacht. Beim Reifentest nach dem Rennen in Barcelona fanden die Ingenieure ein Setup, mit dem das rote Auto deutlich berechenbarer reagiert. Doch nach einem starken Freitagstraining spülte der Regen die Scuderia am Qualifying-Samstag ordentlich aus der Bahn. Mehrere kleine Fehler mündeten in zweistelligen Startplätzen. Also war im Rennen eine Aufholjagd gefragt.

In der Anfangsphase ging es zunächst aber nicht voran. "Ich hing in einem DRS-Zug hinter Norris fest und kam nicht vorbei, obwohl ich deutlich schneller war", berichtete Charles Leclerc. Als George Russell seinen Mercedes in Runde zwölf in die Bande setzte und das Safety-Car für die Aufräumarbeiten auf die Bahn geschickt wurde, bot sich plötzlich eine Chance. Alle Autos vornedran nutzten die Neutralisation zum zeitsparenden Reifenwechsel. Ferrari blieb draußen.

"Da haben wir etwas gepokert. Aber es war die einzige Möglichkeit, unsere Autos aus dem Verkehr zu bekommen", erklärte Teamchef Frederic Vasseur. Die Taktik ging am Ende auf. Leclerc und Sainz konnten nach dem Restart genügend Vorsprung herausfahren, um in den Runden 39 und 40 ohne Platzverlust zum Service abzubiegen.

Der Kommandostand wies Sainz in der entscheidenden Phase auf, den Teamkollegen nicht anzugreifen, damit das Tandem keine Zeit verliert. Die Strategie funktionierte am Ende aber nur so gut, weil die Pace stimmte und sich der Reifenverschleiß in Grenzen hielt. "Wir sind am Ende mit dem gleichen Reifentyp wie Alonso ungefähr die gleiche Distanz gefahren und haben auf ihn nur eine Sekunde verloren", rechnete Vasseur zufrieden vor.

Alex Albon - GP Kanada 2023
Williams
Dank eines starken Top-Speeds und einer perfekten Strategie sammelte Alex Albon sechs WM-Punkte.

Was sind die Gründe für das Albon-Wunder?

Der siebte Platz von Alex Albon war das beste Williams-Ergebnis seit der Regen-Farce 2021 in Spa, als George Russell kampflos Zweiter wurde. In Montreal hatte sich das Traditionsteam die sechs WM-Punkte ehrlich verdient. Grundlage für das kleine Wunder war ein großes Upgrade-Paket, das an das Auto mit der Startnummer 23 geschraubt wurde. Mit der schnellsten Zeit in der zweiten Quali-Runde deutete Albon das Potenzial des Pakets schon am Samstag an.

Die Streckencharakteristik mit den langen Geraden war zudem genau nach dem Geschmack des windschlüpfigen FW45. Hier konnte das Auto seinen Topspeed-Vorteil voll ausspielen. Mit dem Upgrade-Paket ging es nun aber auch deutlich schneller durch die Kurven.

Dass Albon im Rennen von Startplatz neun auf sieben nach vorne raste, lag aber auch an der Strategie. Der Pilot wurde nur während der Safety-Car-Phase an die Box geholt. Der zweite Stint auf harten Reifen führte über 58 Runden bis ins Ziel. Die Konkurrenz legte noch einen zweiten Reifenwechsel ein und fiel damit hinter den Williams zurück.

"Im Nachhinein hätten wir das auch machen sollen", klagte Alpine Teamchef Otmar Szafnauer. "Wir waren aber nicht sicher, ob wir durchkommen. Und wir haben gedacht, dass Esteban (Ocon) mit frischen Reifen leicht überholen kann. Er war bestimmt sechs, sieben Zehntel schneller. Doch der Williams war einfach zu schnell auf den Geraden." Die Fans belohnten Albon für seine Verteidigungsschlacht mit der Wahl zum Fahrer des Rennens.

Lando Norris - Formel 1 - GP Kanada 2023
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Hier kam Norris um eine Strafe herum. Geahndet wurde stattdessen das zu langsame Tempo unter dem Safety-Car.

Warum gab es Ärger bei McLaren?

McLaren musste ganz ohne Punkte aus Montreal abreisen, obwohl Lando Norris die Linie auf Rang neun gekreuzt hatte. Eine Fünf-Sekunden-Strafe warf den Youngster bis auf Rang 13 zurück. Während der Safety-Car-Phase hatte der Brite das Tempo absichtlich verlangsamt, damit eine Lücke zum Schwesterauto von Oscar Piastri vor ihm entsteht. So musste er sich beim Doppel-Boxenstopp nicht anstellen.

Die FIA-Kommissare sahen das als unfaires Manöver an und sprachen die erwähnte Zeitstrafe aus. "Das können wir nicht nachvollziehen", ärgerte sich Teamchef Andrea Stella. "So etwas wurde in der Vergangenheit nicht bestraft. Wenn man das jetzt ändern will, dann ist das in Ordnung. Es ist nur schade, dass wir hier der Präzedenzfall darstellen." Regel-Experten im Fahrerlager hatten dagegen Verständnis für die Strafe. Tenor: Norris hätte sich cleverer anstellen können und das Tempo nicht so extrem drosseln sollen. Dann wäre er verschont geblieben.

Stella ärgerte auch, dass Pierre Gasly in der Schlussphase nicht aus dem Verkehr gezogen wurde. Der Franzose fuhr Norris mit einem wackelnden Heckflügel vor der Nase herum. Schon während des Rennens funkte McLaren die Rennleitung an, weil man befürchtete, dass der Flügel abbrechen könnte. Doch seit dem GP Mexiko gilt die Regel, dass die Teams selbst einschätzen dürfen, wie groß die Gefahr ist und ob man zur Reparatur an die Box abbiegt.

"Das war extrem. Ich erwarte, dass sich Jo Bauer das nochmal anschaut und analysiert, wie sicher es wirklich war", schimpfte Stella. Doch die FIA verzichtete auf die geforderte Inspektion. Bei Alpine konnte man die Vorwürfe nicht nachvollziehen: "Wir haben den Flügel gebaut und können das Risiko einschätzen. Am Ende hat er ja auch gehalten", winkte Szafnauer ab.

Valtteri Bottas - GP Kanada 2023
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Valtteri Bottas kämpfte lange mit Lance Stroll um Rang neun. Erst auf dem Zielstrich wurde das Duell entschieden.

Wie kam Stroll an Bottas vorbei?

In den letzten Runden verteidigte Valtteri Bottas lange Zeit erfolgreich den neunten Platz gegen Lance Stroll. Doch beim Sprint aus der letzten Schikane ging der Aston Martin dann doch noch vorbei. Auf dem Strich betrug der Abstand drei Hundertstel – umgerechnet zweieinhalb Meter. Ein echtes Foto-Finish.

Alfa-Teammanager Beat Zehnder nahm seinen Fahrer in Schutz: "Der Aston war deutlich schneller. Valtteri musste in der letzten Runde die ganze Energie der Batterie schon vor der Haarnadel einsetzen, um sich vorne zu halten. Auf der letzten Gerade hat er dann versucht, sich innen zu verteidigen. Dadurch hat er aber Schwung für die letzten Meter zum Zielstrich verloren."

Bei Aston-Martin-Teamchef Mike Krack war der Jubel über den zusätzlichen WM-Punkt groß: "Fernando war ja schon durch. Wir haben an der Boxenmauer dann alle mit Lance mitgefiebert. Die Situation hat mich an die Szene mit Sebastian (Vettel) und Fernando letztes Jahr in Suzuka erinnert. Es ist schön, wenn sowas für den eigenen Fahrer gut ausgeht."

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