Mercedes AMG 300 CE 6.0
124er Coupé mit einem V8-Motor aus Affalterbach

Siebzehn und vier klingt viel harmloser als Black Jack. AMG 300 CE 6.0 viel ungefährlicher als „The Hammer“. So nennen sie bei AMG ihr Mercedes 124er Coupé mit Sechsliter-V8 und 385 PS. Ob wir mit ihm als „Alter im Test“ unser Blatt überreizt haben? Nichts geht mehr – mehr als der Hammer.

Mercedes AMG 300 CE 6.0, Exterieur
Foto: Hans-Dieter Seufert

Es mag gerade unsere langjährigen Wegbegleiter überraschen, doch müssen wir selbstkritisch feststellen, dass sich auto motor und sport in den vergangenen 74 Jahren im Bereich der Psychologie nicht so recht hervorgetan hat. Dennoch können wir heute eine der großen Fragen beantworten, welche den Menschen umtreibt. Jene, wohin es einen führt, sich mit seinen Ängsten zu konfrontieren. Nämlich: vor verschlossene Türen. Bäckereitüren, um genau zu sein. Darüber hinaus haben wir auch herausgefunden, wer daran schuld ist: der Herr Kommerzialrat, eh klar. Und jetzt erklären wir das mal.

Unsere Highlights

An sich zählt es zur Folklore eines „Alten im Test“, vorn zu beginnen – wie wir noch im kühlen Licht der Neonröhren durch unsere Tiefgarage streifen, dort den Wagen starten, um hinauszufahren in den Tag und auf die Straßen, welche wie die Gedanken über den Horizont streifen, den die Sonne morgenrötet. Aber als wir nun in Hockenheim ankommen, ist es dunkel, unser Lieblingsbäcker noch geschlossen, und die Fahrt hierher war weniger gedankenschweifend als vielmehr: schnell, vorschnell gar.

Mercedes AMG 300 CE 6.0, Interieur
Hans-Dieter Seufert
Schweres Ledermobiliar, Reiserechner und Ölmanometer als Mercedes-Folklore.

So ein AMG 300 CE 6.0 kann mit seiner einschüchternden Wucht auch ausgeprägteste Selbstherrlichkeiten erschüttern und einem die Tagesplanung arg durcheinanderbringen. Da wir nun noch Zeit haben, bis wir Brezeln kaufen, das Auto waschen, tanken und auf dem Hockenheimring testen können, klären wir erst mal, was das genau für ein Auto ist, das sie „The Hammer“ nennen in Affalterbach.

Es beginnt mit dem Coupé der Baureihe 124, das 1987 auf dem Genfer Salon debütiert und sich rasch zu einem Traumwagen von Herren entwickelt, welche die Sprunghaftigkeit und Eile der Jugend länger schon hinter sich gelassen haben. Bei AMG nehmen sie das Topmodell, den 300 CE, als Basis. Nur um seinen mit 185 PS, drei Litern Hubraum und sechs in Reihe sortierten Zylindern ja nicht gerade unterrepräsentativen Motor rauszuwerfen. Stattdessen soll sich der M 117, der 5,6-Liter-V8 aus dem 560 SEL, um Übermotorisierung kümmern, wobei AMG zwei Optionen bietet. Zum Preis von 38.635 Mark hebeln sie eine von 300 auf 360 PS auftoupierte Variante in den Motorraum des 124ers. Nicht genug? Nun, weitere 59.605 Mark finanzieren die Hubraumerweiterung auf sechs Liter, den Vierventilzylinderkopf sowie durchaus umfassende „Fahrzeugänderungen zum Einbau des Motors“.

Wo der Hammer drängt

Der bringt es auf 385 PS und 566 Nm, was weitere Investitionen geboten erscheinen lässt. Sperrdifferenzial und Bremsen für 76.608 DM, Niveau- und Dämpferverstellung (13.680 DM), Arbeiten an der Außenfassade (Karosserieumbau und Räder, 41.096 DM) oder passende Ambientemöblierung (Recaros mit Einbau, 11.706 DM). Noch etwas Klim hier und Bim da, so kommen 335.550 Mark zusammen. Oder historisch korrekter: Zwei Millionen dreihundertdreiundsechszigtausend einhundertfünfundneunzig Schilling – im Erstbesitz geht der AMG an einen Kommerzialrat in Österreich (Kommerzialrat ist ein Berufstitel, der ehrenhalber an Angehörige des Wirtschaftslebens verliehen wird, wenn die sich Verdienste um die Republik Österreich erworben haben; wer den Titel unbefugt führt, begeht eine Verwaltungsübertretung – gerade mit solch profunder Kenntnis im Bereich österreichischer Titelvergabe kann man Vorgesetzte bei Weihnachtsfeiern vom eigenen Karrierepotenzial überzeugen).

Mercedes AMG 300 CE 6.0, Exterieur
Hans-Dieter Seufert
Mit 385 PS stark wie ein Testarossa.

Mittlerweile bereichert der 300 CE 6.0 wieder den Fuhrpark von AMG und im Moment die Geräuschkulisse von Hockenheim. Bei der Fahrt rüber zum Ring zieht der V8 eine Krawallschleppe hinter sich her, die noch immer im Ort widerhallt, als der CE auf der Waage steht. Sie zeigt ein Gewicht von 1.695 Kilo an und trotz des V8-Trumms im Bug nur eine leichte Frontlastigkeit (53,3 Prozent). Ab in die Boxengasse, um die Maße im edelholzverklaffterten Interieur zu erheben. Messgeräte einbauen, Schlüsseldreh, während der V8 in hämmerigem Stakkato leerläuft, den Wählhebel durch die Zickzackkulisse auf D ziehen. Die Viergangautomatik verfügt über einen Economy- und einen S-Modus, denen sie keinerlei Einfluss auf ihre Schaltstrategie zubilligt.

Wohl an, auf die Strecke, um zunächst zu ergründen, dass der Tacho noch eiliger voranschreitet als die Wucht des V8. Und dass dessen Schall die Geräuschkulisse zu dominieren und zu Höchstwerten zu animieren vermag. Nun in die Haarnadel am Nordzipfel der Piste. Dort starten wir mit der ersten Beschleunigung, über die sich aber eine große Menge Reifenqualm und daher besser der Mantel des Schweigens legt. Gefühlvoller, mit weniger Gas beim nächsten Mal, um die kargen Gripreserven der rüstigen Hankooks nicht wieder zu überfordern. Traktionskontrolle gibt es keine, nur eine 25-Prozent-Sperre, auch mit der raspelt sich das hinterradgetriebene Coupé mühsam auf Tempo. Bis 100 km/h dauert es wegen der Traktionsnöte wackere 6,2 Sekunden. Mächtiger fühlt es sich oberhalb dieses Tempos an, da wütericht der V8 erst so richtig los, tourt dabei einfach über den roten Bereich des Drehzahlmessers hinaus, bis der Zeiger auf der 3-bar-Markierung des Ölmanometers steht – dürfte in Umdrehungen pro Minute etwa 7.200/min entsprechen –, als die Automatik ihre letzte Stufe nachlegt. Erst bei 289 km/h fällt der Hammer – also nicht wirklich, sondern …, Sie wissen schon.

Es gäbe also auch eine Menge zu bremsen, denken wir uns noch, als uns die nächste Auslaufzone so eilends entgegensaust. Darauf jedoch sind die Bremsen gar nicht mal so gut vorbereitet. Geht sich noch alles aus, aber bei einer Verzögerung von 9,46 m/s² braucht der AMG aus Höchsttempo bis zum Stillstand 341 Meter Bremsweg. Etwas Weitsicht also kann nicht schaden, wie es zudem auch nur eines geringen Maßes an Selbstüberschätzung bedarf, um sich mit dem Coupé beim Slalom übersteuernd ins Streckenbegleitgrün abzudrehen.

Aber doch nicht mit Otto am Lenkrad, der den AMG nun so beherzt um die Pylonen witschen lässt. Die Schwergängigkeit der Lenkung geht dabei keineswegs einher mit hoher Präzision, alles eher indifferent, aber eben auch ungiftig selbst beim doppelten Spurwechsel. Den durchwankt der Hammer mit deutlicher Seitenneigung. Überhaupt sind Kurven nicht so seine Sache, eher so weite Geraden und sachte Bögen. Na, da wissen wir doch was: das Hochgeschwindigkeitsoval in Boxberg!

Mercedes AMG 300 CE 6.0, Exterieur
Hans-Dieter Seufert
So richtig fest drückt die kleine Spoilerlippe am Heck den AMG nicht auf den Asphalt.

Das liegt ja gleich hinter den sieben Hügeln und zwei Autobahnkreuzen. Also packen wir in Hockenheim zusammen und machen uns auf. Zuvor aber informieren wir uns am Reiserechner. Der sieht aus, als habe ihn der junge Bill Gates noch in seiner Garage in Albuquerque programmiert. Jedenfalls kalkuliert der Bordcomputer, dass sich die Reichweite nach der Messerei bereits auf eine, nun, Reichnähe, verringert hat. Also lassen wir ordentlich Super in den Tank gurgeln, beschließen, das Errechnen des Verbrauchs auf ein andermal zu verschieben (es sollten 16 l/100 km im Testschnitt werden) und fahren ostwärts: A 5, A 6, A 81.

Immer schön im Greis

Tempo 170 ist da ein angenehmes Reisetempo. Da tourt der V8 noch nicht so hoch, zapft sich noch nicht so ungebührlich Kraftstoff aus dem Tank. Dazu bleibt eine erquickliche Kraftreserve, die immer ausreicht, selbst die vorwitzigsten aller Turbodieselkombis mit einem beherzten Gastapser abzuhängen. Das verschafft der Fahrt nennenswerte Kurzweil, während es über den Komfort derart Freundliches nicht zu erwähnen gibt. Mit seiner harten Abstimmung rempelt der AMG herb gerade über Querfugen und kurze Unebenheiten. Andererseits haben sie ihn ja nicht „Schmusekätzchen“, sondern „Hammer“ genannt, was eine gewisse Schlagfertigkeit auch beim Umgang mit Bodenwellen erwarten lässt.

Mercedes AMG 300 CE 6.0, Exterieur
Hans-Dieter Seufert
Die Schwergängigkeit der Lenkung geht keineswegs einher mit hoher Präzision, alles eher indifferent, aber eben auch ungiftig.

Hinter dem Tunnel Hölzern noch ein kurzes Stück im 100-km/h-Limit, dann endet die Beschränkung, und der Sechsnull zoomt sich den Berg empor, stürzt sich den Abschnitt zum Jagsttal hinunter und wieder empor, über die weite Ebene dahinter, die im Katastrophenfall für Flugzeuge als Start- und Landebahn genutzt werden könnte. So richtig fest drückt die kleine Spoilerlippe am Heck den AMG nicht auf den Asphalt, also am Ende der langen Geraden mal vom Gas für die letzten weiten Bögen. Dann in Boxberg raus, zweimal rechts, dreimal links, und wir sind da.

Über Mittag haben wir das drei Kilometer lange Oval für uns. Der 300 CE 6.0 zentrifugiert durch die bis zu 65 Prozent überhöhten Steilkurven, als wolle er seinen eigenen Schall einholen. Echot der jetzt nicht noch über der Gegengeraden? Gleich haben wir ihn. Auch daher ist der AMG ein Auto, vor dem man besser etwas zu viel als zu wenig Furcht hat. Aber da gilt: Hammer doch gleich gesagt.

Technische Daten
AMG 300 CE 6.0
Außenmaße4655 x 1855 x 1370 mm
Kofferraumvolumen480 l
Hubraum / Motor5953 cm³ / 8-Zylinder
Leistung283 kW / 385 PS bei 5500 U/min
0-100 km/h6,2 s
Verbrauch16,0 l/100 km
Testverbrauch16,0 l/100 km
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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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