BMW Garmisch (2019) - Nachbau der Gandini-Studie
Klon vom verlorenen Sohn

Man kennt das: Im Laufe der Zeit sammeln sich so viele Autos an, dass man welche verlegt. Irgendwann fehlt dann eines ganz. Wenn Suchen nicht hilft, baut man die, die einem wichtig sind, halt noch mal – sowie BMW das Concept Car Garmisch von 1970.

05/2019, BMW Garmisch
Foto: BMW

Der "Garmisch" debütierte nämlich bereits 1970 als Idee der Designschmiede Bertone für einen modernen BMW. Die Münchner hatten den Italienern Rechte und Auto abgekauft und zeigten das Auto auf dem Genfer Salon.

Danach hat das klare und moderne Design erkennbar die Gestaltung des ersten 5er (E12, 1972) von Paul Braq und sogar die des ersten 7er (E23, 1977) beeinflusst. Aber das Original Concept Car ist bis heute verschwunden, unauffindbar. Vielleicht taucht es ja in weiteren 50 Jahren irgendwo als Scheunenfund wieder auf. Aber so lang wollte BMW nicht warten.

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Nicht zuletzt BMW-Chef-Designer Adrian van Hoydonk wollte die Lücke in der Firmenhistorie schließen, zumal er erklärter Bewunderer des Garmisch-Gestalters Marcello Gandini ist, der unter anderem legendäre Sportwagen Lamborghini Miura und Countach oder den Lancia Stratos entwarf.

Nachbau aus Fotos

Aber wie mit einem alten Auto neu anfangen, von dem es nur noch ein paar Bilder gibt? Tatsächlich mussten die in 3D-Daten übertragen werden. Aus Ihnen entstand dann mit CAD der neue alte Entwurf. Ein italienischer Spezialist baute dann den "Garmisch" zu dessen 50. wie das Original auf dem Fahrgestell eines 2002 ti wieder auf.

An Grenzen stieß die Fotoauswertung bei Schwarz-Weiß-Aufnahmen des Innenraums. Darauf war nicht zu erkennen, ob die Sitze tatsächlich weiß und Teile des Interieurs in kontrastierendem Schwarz gehalten waren.

05/2019, BMW Garmisch
BMW
Der vielleicht größte Schminkspiegel der Welt.

Glücklicherweise konnte sich der heute 80-Jährige Marcello Gandini noch gut an sein Werk erinnern, denn Aufzeichnungen besaß er keine mehr. Aber dass die Sitze in hellem Beige gehalten waren und die Kontrastfarbe ein dunkles Braun und kein Schwarz war, wusste er auch so. Weitere Hinweise konnte er bei der Außenfarbe, der Gestaltung der hübschen, aber praxisuntauglichen Felgen und den Lamellen auf der Heckscheibe geben.

Zeitgenössisch zierliche Abmessungen, moderne Linien

Und so steht der Garmisch vermutlich genauso vor einem, wie das Original von 1970: Die 2,5 Meter Radstand der technischen Basis BMW 2002 streckt vor allem das Heck mit dem charakteristisch fallenden Kofferraumdeckel und üppigem Überhang auf 4,37 Meter, das sind nur etwa 4,5 Zentimeter mehr als der noch aktuelle BMW 1er. Dass der Garmisch erheblich zierlicher wirkt, liegt daran, dass er mit 1,64 Meter zwölf Zentimeter schmaler und mit lediglich 1,30 Meter Höhe mehr als elf Zentimeter flacher ist als das aktuelle Kompaktmodell. Um so erstaunlicher ist aus mancher Perspektive die Ähnlichkeit mit dem immerhin 4,86 Meter langen ersten 7er.

Beim Gewicht ist das Concept Car wenig zeitgenössisch: Während der 2002 nur gut eine Tonne auf die Waage brachte, soll sie beim Garmisch etwa 1.600 kg zeigen. Das ist der Solidität des Concept Cars geschuldet. Die auffällige Niere und die Einfassungen der Rückleuchten beispielsweise sind aus dem Vollen gefräst.

Das Radio steht senkrecht

Dafür wirkt der Innenraum sehr hochwertig und seine Verarbeitungsqualität liegt sicher über dem Standard der 70er-Jahre. Sitzposition und vor allem Übersichtlichkeit entsprechen eher der ursprünglichen Bauzeit – im positiven Sinne: Die großen Glasflächen und die dünnen Dachsäulen erlauben eine Rundumsicht, die gefühlt 200 Prozent besser ist, als bei jedem modernen Auto. Der Blick nach hinten ist allerdings durch die schicken Lamellen auf der Heckscheibe zwar interessant, aber die Durchsicht ist eingeschränkt. Vor der Heckscheibe fallen die Platzverhältnisse im Fond auf: Vor allem der Knieraum, taugt eher für Kinder. Aber das war im 02 auch schon so. Natürlich ist die Gestaltung des Interieurs wie im Original stark an der Zeit orientiert.

Gandini hatte zwar Instrumente, viele Schalter und Heizungsregler vom normalen 02 verwendet, sich aber auch ein paar interessante Modifikationen erlaubt. So sind etwa das Radio und eben die Betätigung von Heizung und Lüftung rechts neben dem Fahrer hochkant eingebaut und das stark geschüsselte Lenkrad prägt innen eine rechteckige Nabe, die später auch der 5er bekam.

Ein Detail lässt Betrachter von heute kurz zweifeln, ob BMW hier vom exakten Nachbau abgewichen ist und dem Garmisch ein modernes Feature spendiert hat: Das Handschuhfach ist als Schublade mit aufstellbarem Deckel ausgeführt, der dann vor dem Beifahrer steht wie das Touchdisplay eines iPads. Aber der zweite Blick offenbart: Bei diesem Concept Car geht’s nur um die Optik, in dem Fall um die der Beifahrerin – das Display ist in Wahrheit ein etwa 10 Zoll großer Spiegel.

Fazit

Die Wirkung des Garmisch-Nachbaus ist frappierend: Das Auto ist spürbar neu und doch 50 Jahre alt. Es verströmt den Geist und sogar den Geruch von damals – wie die aufwendige Vollrestauration eines Oldtimers, nur ohne Basis.

Das Beste: Die technische Basis ist wirklich alt, funktioniert aber. Man könnte mit dem Garmisch einfach nach – sagen wir Garmisch – fahren. Ob das mit dem Original auch funktioniert hätte? Marcello Gandini wüsste es vielleicht.

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