F1 Taktik-Check GP Niederlande 2023
Sieg trotz verspäteter Boxenstopps

GP Niederlande 2023

Beim Niederlande-GP regierte das Chaos. Entscheidend bei 72 Boxenstopps, einem Safety-Car und zwei Wolkenbrüchen war, wie die Reihenfolge beim Abbruch zustande kam.

Max Verstappen - GP Niederlande 2023
Foto: xpb

Trocken, Regen, trocken, wieder Regen. Der zweite Wolkenbruch führte nach 64 Runden zum Abbruch. Vergessen Sie, wer vorher schnell oder langsam war, wer in den einzelnen Stints wie viel Zeit gutgemacht oder verloren hat. Entscheidend war nur wie die Reihenfolge beim Re-Start zustande kam. Als das Rennen sechs Runden vor Schluss freigegeben wurde, spielten die Abstände davor keine Rolle.

Beim Zandvoort-Rennen war nur eine Runde lang alles normal. Dann kündigten sich in den letzten Kurven Schauer an. Die Ansage von Meteo France lautete, dass sie sich nach sechs bis sieben Runden wieder verziehen würden. "Sie waren aber nicht so heftig vorhergesagt", erklärte Williams-Teamchef James Vowles.

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Sergio Perez, Charles Leclerc, Pierre Gasly, Guanyu Zhou, Yuki Tsunoda, Liam Lawson und Kevin Magnussen bogen sofort in die Boxengasse ab. Teilweise aus eigenem Antrieb. Doch Perez und Leclerc funkten so spät ihre Crew an, dass die Reifen nicht bereit lagen. Den schnellsten Reifenwechsel lieferte Red Bull ab, den langsamsten Ferrari. Perez verlor 22,666 Sekunden in der Boxengasse, Leclerc 32,686 Sekunden. Das sagt alles. Bei Red Bull ist auch das Team weltmeisterlich.

Mercedes und McLaren warten zu lange

In der zweiten Runde bogen Max Verstappen, Fernando Alonso, Carlos Sainz und Esteban Ocon in die Boxengasse ab. Es goss inzwischen wie aus Kübeln. Wer wie McLaren oder Mercedes noch später reagierte, für den war der Zug bereits abgefahren. "Es gab ab der dritten Runde nur noch eine Option. Und die hieß draußenbleiben und auf Slicks überleben, bis die Strecke wieder abtrocknet", machte Vowles klar.

Diese Konsequenz zeigten nur Alexander Albon, Oscar Piastri, Nico Hülkenberg, Valtteri Bottas und Logan Sargeant. Vowles im Rückblick: "Wir hätten die Taktik splitten müssen." So wie es Aston Martin mit Alonso und Stroll machen wollte, dann bei Stroll aber in der vierten Runde doch die Reißleine ziehen musste.

"Es gab auch die Möglichkeit, dass die Rennleitung abbricht. Da stehst du blöd da, wenn du gerade in der Box bist", erklärte Teammanager Andy Stevenson das Zögern bei Stroll. Alonso nahm dem Team die Entscheidung ab. "Er hat in der zweiten Runde gefunkt, dass sich das Risiko draußenzubleiben nicht auszahlen wird."

Pierre Gasly - Alpine - GP Niederlande 2023 - Zandvoort
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Bei Gasly stimmte das Timing in der Frühphase. Der Franzose sprang ins Voderfeld.

Größter Profiteur war Gasly

Mercedes traf es besonders bitter. Nachdem Hamilton und Russell mit Verspätung ihre Intermediates bekamen, lagen sie auf den Plätzen 13 und 16. Trotz Zeitverlust in den Boxen zahlte sich der frühe Wechsel auf Intermediates aus. Perez ging dadurch in Führung, doch er fährt halt gegen Verstappen. Sein Teamkollege dampfte den Rückstand innerhalb von sieben Runden von 13,3 auf 4,0 Sekunden ein.

Gasly machte den größten Sprung. Der Alpine-Pilot verbesserte sich von Platz 12 auf Rang 4. Guanyu Zhou lag sogar noch einen Platz vor Gasly, doch der Sauber-Pilot konnte sich dort nicht lange halten. Kühle Bedingungen und Regen sind nicht die Bedingungen für ein Auto, das ewig braucht Reifentemperatur zu generieren.

Wer mit den Slicks auf der Strecke blieb, verlor auf der Rennstrecke mehr Zeit als die Gegner, die nach zwölf Runden schon zwei Boxenstopps hinter sich hatten. Das kostete zwischen 45 und 55 Sekunden. Als alle wieder auf Trockenreifen unterwegs waren, lag Piastri von den Überlebenskünstlern als Achter in der aussichtsreichsten Position.

Doch der Australier machte sich den Bonus mit einem Verbremser kaputt. Der Bremsplatten zwang ihn nach 15 Runden zu einem verfrühtem Wechsel auf einen zweiten Satz Soft. "Sonst hätte es sich für Oscar gelohnt", ist Teamchef Andrea Stella überzeugt. Sein Rookie wurde am Ende immerhin noch Neunter.

Alexander Albon - Williams - GP Niederlande 2023 - Zandvoort - Rennen
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Albon kämpfte sich mit Slicks durch den ersten Schauer. Der Poker ging nicht auf.

Zu späte Rückkehr auf Slicks

Mit dem zweiten Boxenstopp waren fast alle im Feld zu spät dran. Alexander Albon und Oscar Piastri fuhren auf ihren Slicks in der achten Runde mit Zeiten von 1.22,359 respektive 1.22,473 Minuten zum ersten Mal wieder klar schneller als alle Kollegen, die noch auf Intermediates unterwegs waren. Max Verstappen verlor auf die beiden neun Zehntel, Spitzenreiter Sergio Perez 2,2 Sekunden und Fernando Alonso 1,4 Sekunden.

Trotzdem reagierten in der neunten Runde nur Kevin Magnussen, Lewis Hamilton und Lance Stroll. Der große Ansturm an die Boxen fand erst eine Runde später statt. "Es bestand die Möglichkeit, dass es noch einmal kurz regnet", verteidigte sich Red-Bull-Technikchef Adrian Newey.

Für Magnussen zahlte sich der Coup aus, für Hamilton nicht. Magnussen machte drei Positionen gut, Hamilton verlor drei. Das lag an ihrer Position im Feld. Hamilton geriet durch den Boxenstopp hinter drei der Fahrer, die nie Reifen gewechselt hatten.

Hamiltons Problem war, dass er als einziger Fahrer auf Medium-Reifen gestartet war und für den verspäteten Wechsel auf Medium-Gummis am meisten büßte. "Als Team haben wir die falsche Entscheidung getroffen und den Preis dafür bezahlt, indem wir auf den letzten Platz zurückgefallen sind", klagte der Ex-Weltmeister.

Max Verstappen - Red Bull - GP Niederlande 2023 - Zandvoort - Rennen
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Verstappen traf nicht immer das perfekte Timing der Boxenstopps. Aber mit seiner überragenden Pace machte er schnell wieder wett, was er verloren hatte.

Alle Uhren ticken für Verstappen

In der Phase des Zurückwechselns zeigte sich, dass bei Red Bull alle Uhren für Verstappen ticken. Statt dem besser platzierten Perez den Vortritt zu lassen, holte man den Weltmeister zuerst an die Box. Der Undercut drehte die Reihenfolge an der Spitze um. Fortan lag Verstappen vor Perez.

Red Bull begründete das damit, dass Verstappens Position eher gefährdet war als die von Perez, der zu dem Zeitpunkt vier Sekunden vor seinem Teamkollegen lag. Tatsächlich aber hatte Pierre Gasly auf dem dritten Platz einen Rückstand von 8,3 Sekunden. Andererseits hatte Red Bulls größter Gegner Alonso in der zehnten Runde auf Slicks gesetzt. Durch den früheren Boxenstopp holte Alonso immerhin 3,6 Sekunden auf Verstappen auf.

Obwohl Red Bull mit Verstappen zwei Mal den Boxenstopp jeweils um eine Runde verschlief, wurden die kleinen Fehler nicht bestraft. Weil der Titelverteidiger auf der Rennstrecke alles wettmacht. In der langen Trockenphase nahm er Perez 11 und Alonso 15 Sekunden ab.

Die größten Sprünge in den Runden 10 bis 12 machten Piastri, Albon, Bottas und Hülkenberg, also die vier Fahrer, die auf ihren Startreifen geblieben waren. Sie hatten mit ihrem Experiment allerdings schon zu viel Zeit verloren. Piastri lag in der 13. Runde 18,5 Sekunden hinter der Spitze, Albon 20,4, Bottas 31,5 und Hülkenberg 32,7.

George Russell - Mercedes - Formel 1 - GP Niederlande - Zandvoort - 25. August 2023
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Russell versuchte mit harten Reifen durchzufahren. Doch die Gummis gingen irgendwann in die Knie.

Durchfahren auf harten Reifen? Unmöglich

Mit dem Wechsel auf Slicks normalisierte sich das Rennen. Und doch gab es noch Pokerspieler im Feld. In den Runden 15 und 16 holten sich Piastri, Bottas, Hülkenberg, Russell und Stroll frische Reifen ab. Alle mit dem Plan, ab jetzt bis zum Ende durchzufahren. Das war ein ambitionierter Plan, selbst für Russell, der als einziger Fahrer die harten Reifen bekam.

Die Taktik schien für den Mercedes-Piloten zunächst aufzugehen. Russell rückte von Platz 18 sukzessive nach vorne, vor allem als die Kollegen zwischen den Runden 36 und 49 die zweite Garnitur Slicks abholten, in der Mehrheit Soft-Reifen. Das brachte Russell bis auf Platz 6 nach vorne.

Doch ab Runde 55 begann Pirellis harte Mischung einzubrechen. Erstes Warnzeichen war, dass Albon mit relativ neuen Mediums an dem Mercedes-Piloten vorbeiflog. In der Folge verlor Russell zwischen 1,2 und 2,5 Sekunden pro Runde auf die Gegner, die nun mit weicheren und frischeren Reifen bestückt waren.

Wer wie Piastri von Soft auf Soft oder wie Hülkenberg, Bottas oder Stroll von Soft auf Medium gewechselt hatte, konnte sich den Versuch, bis zum Ende durchzufahren, schon viel früher abschminken.

Noch verwegener war der Plan von Alpha Tauri, Yuki Tsunoda mit Soft-Reifen, die er in Runde 10 bekam, bis zum bitteren Ende fahren zu lassen. Ab der 48. Runde waren der Reifensatz platt. Tsunoda verlor innerhalb von 13 Runden acht Positionen und lag damit schon außerhalb der Punkteränge als der zweite große Regen kam.

Sergio Perez - Red Bull - GP Niederlande 2023 - Zandvoort - Rennen
Wilhelm

Erst der Abflug, dann noch die Strafe wegen zu schnellen Fahrens in der Boxengasse - so flog Perez von Platz zwei noch vom Podium.

Albon verliert zwei Plätze

In der 60. Runde brach die Hölle über Zandvoort herein. Trotzdem blieben Verstappen, Alonso, Albon und Ocon eine Runde länger als das Gros des Feldes auf der Bahn. Verstappen und Alonso kamen ungeschoren davon. Albon verlor zwei Plätze. Bei Ocon versuchte Alpine den verspäteten Wechsel dadurch zu korrigieren, indem man ihm sofort Extrem-Wetterreifen mitgab.

Es war die richtige Wahl. Verstappen tauschte nur eine Runde später Intermediates gegen die klassischen Regenreifen. Newey erklärte: "Wir waren durch den Ausrutscher von Perez vorgewarnt. Es stand einfach zu viel Wasser auf der Bahn, und wir wollten nichts riskieren." Der Wechsel hätte allen Teilnehmern geblüht, doch die Rennleitung nahm ihnen die Entscheidung ab und hielt ihnen die rote Flagge vor die Nase.

In den restlichen sechs Runden unter Renntempo musste das Rennen auf der Strecke entschieden werden. In den Top Ten änderte sich nur noch eine Position. Russell verschenkte mit seinem Angriff auf Norris in Kurve 11 einen achten Platz. Die Kollision mit dem McLaren zwang den Dritten der Startaufstellung ein weiteres Mal an die Box. Glück für Ocon, der damit noch in die Top Ten rutschte.

Der letzte Platzwechsel fand virtuell statt. Sergio Perez büßte mit fünf Sekunden dafür, dass er bei seinem letzten Reifenwechsel in der Boxeneinfahrt um 0,8 km/h zu schnell war. Dadurch rückte Gasly auf das Podium vor.

Eben jener Gasly, der vorher schon fünf Sekunden für das gleiche Vergehen abgesessen hatte. Bei ihm war es noch knapper. Der Alpine-Pilot wurde mit 60,1 km/h geblitzt. Er holte sich den verlorenen Platz gegen Sainz auf der Rennstrecke zurück. "Carlos hatte gebrauchte Soft-Reifen am Auto, Gasly frische. Da hatte er keine Chance", entschuldigte Teamchef Frédéric Vasseur seinen Fahrer.

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