Taktik-Check GP Brasilien 2023
McLaren nur zu Beginn auf Verstappen-Niveau

GP Brasilien 2023

Max Verstappen hatte in Interlagos nur einen Gegner. Lando Norris konnte in den einzelnen Runden aber nur für jeweils 15 Runden das Tempo des Red Bull halten. Dann siegte das bessere Reifenmanagement des Weltmeisterautos.

Max Verstappen - Red Bull - Lando Norris - McLaren - GP Brasilien 2023 - Sao Paulo - Formel 1
Foto: Red Bull

Der GP Brasilien lebte von zwei Duellen. Das erste war eigentlich nur ein Schattenboxen mit Sichtkontakt. Max Verstappen hielt Lando Norris 71 Runden lang auf Abstand und musste nur deshalb drei Runden lang die Führung abgeben, weil McLaren den zweiten Boxenstopp hinauszögerte, um mit frischeren Reifen am Ende den Extra-Punkt für die schnellste Runde zu holen.

Der andere Zweikampf fand auf der Strecke statt. Er bahnte sich schon lange an, doch erst in der 55. Runde hatte sich Sergio Perez in den DRS-Bereich von Fernando Alonso gerobbt. Obwohl der Mexikaner im Schlussabschnitt mit gebrauchten Soft-Reifen fuhr, sein Gegner sich dagegen einen frischen Satz für das Finale reserviert hatte. Alonso hielt 16 Runden lang der Belagerung stand. Und als Perez dann doch einmal vorbei war, schlug er in der letzten Runden eiskalt zurück.

Unsere Highlights
Sergio Perez - Red Bull - Formel 1 - GP Brasilien 2023 - Rennen
xpb

Sergio Perez konnte den Konter Fernando Alonsos nicht abwehren und landete nur auf Rang vier.

Gebrauchte Soft eher Vorteil als Nachteil

Verstappen zeigte mit den besseren Starts von Anfang an, wer Herr im Hause war. Nur einmal wackelte seine Führung. Er war mit gebrauchten Soft-Gummis gestartet, sein Verfolger auf frischen. In der achten Runde attackierte Norris mit voller Batterie in Kurve 1 und Kurve 4. Verstappen ließ den McLaren jeweils auf der Außenseite verhungern. "Ich musste es so früh versuchen, solange ich noch den Vorteil der frischen Reifen hatte", erklärte Norris.

Über die Distanz waren die angefahrenen Soft-Reifen eher ein Vorteil als ein Nachteil. Im ersten Stint hielt Norris den Abstand bis zur 16. Runde bei 2,4 Sekunden. Dann ging die Schere bis zum gemeinsamen Boxenstopp in Runde 27 bis auf 3,5 Sekunden auf. Als die beiden wieder auf die Strecke gingen, war Verstappens Vorsprung auf 5,2 Sekunden angestiegen. Der Weltmeister gewann sechs Zehntel auf der Runde in die Box, neun Zehntel durch den schnelleren Reifenwechsel und 1,1 Sekunden mit der schnelleren Runde aus den Boxen raus.

Start - Formel 1 - GP Brasilien 2023 - Rennen
Wilhelm

Max Verstappen zeigte in Brasilien ideale Starts und konnte das Rennen kontrollieren.

Am McLaren leiden die Hinterreifen

Im Mittelabschnitt waren Verstappen und Norris mit gleichen Waffen unterwegs. Auch auf frischen Mediums lagen die Rundenzeiten 18 Runden lang nahezu auf dem gleichen Niveau. Der Red Bull-Pilot vergrößerte den Abstand bis zur 46. Runde nur auf 6,4 Sekunden. Bis er in der 56. Runde zum zweiten Mal an die Boxen abbog, kletterte das Delta auf 7,7 Sekunden.

Im letzten Stint kehrten sich die Vorzeichen um. Verstappen hatte noch eine Garnitur frische Soft-Reifen in der Hinterhand, Norris nur noch gebrauchte Sohlen. Der um drei Runden spätere Boxenstopp egalisierte den Nachteil. Norris drehte nicht nur die schnellste Runde, er verkürzte seinen Rückstand in zwölf Runden noch von 13,4 auf 8,2 Sekunden.

Der Sieger gab im Rückblick zu, dass er keine Runde lang Ruhe hatte. "Es war ein Kampf. Lando fuhr die meiste Zeit auf unserem Niveau. Nur die jeweils letzten fünf bis zehn Runden haben wir von unserer geringeren Reifenabnutzung profitiert. Das Reifenmanagement erfordert auf dieser Strecke volle Konzentration, wenn du gezwungen wirst schnell zu fahren. Du kannst dann nicht mehr das Auto einfach so in die Kurven reinrollen lassen."

Norris bestätigte: "Ich konnte immer so 15 Runden lang mit Max mithalten. Dann hat der Red Bull seinen Vorteil ausgespielt. Je länger der Stint dauerte, umso mehr haben unsere Hinterreifen in den langsamen Kurven überhitzt. Im Vergleich zu Max habe ich die meiste Zeit in den Kurven 10 und 12 liegenlassen. Da war der Red Bull immer extrem stark."

Lando Norris - McLaren - GP Brasilien 2023 - Sprint-Shootout
Motorsport Images

Lando Norris jagte Max Verstappen in São Paulo vergeblich.

Der Vergleich mit Schumacher

Der andere Zweikampf war spektakulärer. Alonso gewann ihn, weil er als Führender die bessere Anströmung der Aerodynamik genoss, weil er laufend seine Linien wechselte und so Perez in den Turbulenzen hielt, und weil er die Batterie-Power klüger einsetzte. Der frische Reifen im Schluss-Stint war nur auf dem Papier besser. "Ich habe fünf Runden vor Schluss das Tempo angezogen, weil ich dachte, dass ich mehr Grip in meinen Reifen habe als Checo, aber er hat mitgezogen", erzählte Alonso.

Erst ein Tipp von der Box, Alonsos Linien einfach zu kopieren, brachte Perez in Schlagdistanz für das Überholmanöver. Speziell in Kurve 12 ließ er sich immer wieder von dem alten Fuchs austricksen. Während Alonso meistens die weite Regen-Linie wählte, versuchte sein Verfolger aggressiv früh den Scheitelpunkt anzuvisieren. Dabei kreuzten sich am Kurvenausgang die Wege, Perez bekam schlechte Luft ab, verlor Abtrieb und konnte nicht so früh aufs Gas wie sein Gegner.

Mit der Erfahrung von 375 GP-Starts im Rücken, kennt Alonso solche Verteidigungsschlachten. 2005 wehrte er sich in Imola das halbe Rennen lang gegen Michael Schumacher. Trotzdem sieht der Oldie einen entscheidenden Unterschied: "Damals war es einfacher, Michael hinten zu halten. Es gab es kein DRS und das Reifenmanagement war nicht so kritisch wie heute. Mit DRS hätte mich Schumacher überholt, und er wäre mir auf und davon gefahren. Ohne hätte ich auf der anderen Seite Checo in der letzten Runde nicht mehr kontern können."

Fernando Alonso - Aston Martin - Formel 1 - GP Brasilien 2023 - Rennen
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Fernando Alonso setzte seine ganze Erfahrung ein, um Perez hinter sich zu halten.

Mercedes kostet Perez den dritten Platz

Obwohl die beiden Kontrahenten um Platz drei erst in den letzten 16 Runden so richtig zusammenfanden, spielten sich die rennentscheidenden Szenen schon viel früher ab. Für Alonso in der ersten Runde nach dem Re-Start: "Wäre ich nicht sofort an Hamilton in Kurve 4 vorbeigekommen, wäre ich nie in der Position gewesen, meinen ersten Boxenstopp im Vergleich zu Checo um fünf Runden hinauszuzögern."

Das gab Alonso den Reifenvorteil, der es ihm ermöglichte im Mittelstint eine Lücke zu schaffen, die groß genug war, sich vor einem Undercut zu schützen. Als Perez in der 46. Runde zum zweiten Mal in die Boxen abbog, hatte Alonso 3,4 Sekunden Vorsprung. Genug, um eine Runde später ohne Platzverlust zu reagieren.

Auch Perez sah den Grund für seine Niederlage im Kampf um Platz drei im ersten Stint. "Ich habe zu viel Zeit verloren, um an den beiden Mercedes vorbeizukommen." Als er Lewis Hamilton und George Russell endlich hinter sich gelassen hatte, fehlten ihm schon 8,6 Sekunden auf Alonso.

Der Zweikampf auf der Strecke kostete Zeit. So konnte Lance Stroll mit dem Vorteil freier Fahrt den Rückstand auf das Duo noch von 13,9 auf 6,6 Sekunden verkürzen. Selbst Carlos Sainz fiel nicht zurück. Obwohl der Spanier über Getriebeprobleme klagte, fror er den Rückstand auf Alonso und Perez im letzten Stint bei 15 Sekunden ein.

Russell - Perez - Formel 1 - GP Brasilien 2023 - Sprint
Wilhelm

Sergio Perez beklagte sich nach dem Rennen, zu viel Zeit hinter den Mercedes verloren zu haben.

Austin wirkt bei Mercedes und Ferrari nach

Aston Martin räumte zum ersten Mal wieder seit Zandvoort in großem Stil Punkte ab. Mit 25 Zählern lag der WM-Fünfte deutlich vor Ferrari (13) und Mercedes (11). Die beiden Dinosaurier waren außer Form und verloren im Hauptrennen jeweils ein Auto.

Es gab viele Gründe, warum Mercedes und Ferrari auf einer Strecke so weit daneben lagen, die ihnen eigentlich hätte passen müssen. Aber einer davon war sicher die Angst vor einer Wiederholung der Austin-Episode.

Die wellige Strecke in Verbindung mit dem Sprint-Format weckte unangenehme Erinnerungen. "Wir haben sichergestellt, dass es uns diesmal mit der Planke nicht erwischt", umschrieb Ferrari-Rennleiter Frédéric Vasseur ein Setup, das hundertprozentige Legalität über den Speed des Autos stellte. Kollege Toto Wolff sprach offen darüber: "Wir sind zur Sicherheit höher gefahren als wir es normalerweise tun würden."

Das kostet Abtrieb. Mercedes hat in Reaktion auf diesen Kompromiss auch beim Rest der Fahrzeugabstimmung die falschen Entscheidungen getroffen. "Irgendetwas war fundamental nicht in Ordnung", ordnete Wolff die Vorstellung seiner Autos ein. Bestes Indiz dafür waren ein extrem niedriger Topspeed und extrem hoher Reifenverschleiß. Für das eine war ein zu großer Heckflügel, für das andere ein zu hartes Fahrwerk schuld.

Ferrari gab nicht ganz so viel Speed auf den Geraden auf und hielt auch die Reifen etwas besser in Schuss als der Gegner um den Vize-Titel. Das zeigte sich daran, dass Sainz acht Runden nach Hamilton den ersten Boxenstopp abwickelte und fünf Runden später den zweiten. Das machte im Ziel einen Unterschied von 12,6 Sekunden und zwei Positionen aus.

Carlos Sainz - Ferrari - GP Brasilien 2023
Motorsport Images

Ferrari litt in São Paulo weniger unter dem konservativen Setup als Konkurrent Mercedes.

Ocon tanzt aus der Reihe

Obwohl der GP Brasilien ein Zweistopp-Rennen war und es wegen der besonderen Herausforderungen des Sprints große Unterschiede in den einzelnen Reifendepots gab, tanzte mit Ausnahme von Esteban Ocon keiner aus der Reihe. Neun Fahrer aus den Top Ten wählten die Reifenfolge soft-medium-soft.

Norris und Tsunoda fuhren den frischen Satz Soft am Anfang, Verstappen, Alonso und Gasly reservierten sich neue Softs für den letzten Abschnitt. Perez, Stroll, Sainz und Hamilton hatten gar keine neuen C4-Reifen mehr in der Hinterhand. Es hat für den Ausgang des Rennens wider Erwarten keinen großen Unterschied gemacht. Ein Mercedes-Stratege meinte: "Wir hätten heute zehn frische Reifensätze von jeder Sorte haben können, und wir wären nicht weiter vorne gelandet. Unser Auto war einfach zu langsam."

Esteban Ocon war der einzige, der es mit drei Stopps versuchte. Alpine verteilte sie auf die Runden 14, 31 und 51. Es war eine Taktik, die aus der Not geboren wurde. Ocon klagte über deutlich stärkere Reifenabnutzung als Teamkollege Pierre Gasly. Als ihn Yuki Tsunoda in der 14. Runde aus den Punkterängen verdrängte, zogen die Alpine-Strategen die Reißleine. Nach dem dritten Boxenstopp kehrte Ocon als Zwölfter ins Rennen zurück. Logan Sargeant überholte er auf der Strecke, und George Russell räumte freundlicherweise das Feld. Der Engländer wurde wegen zu hoher Motortemperaturen aus dem Rennen genommen.

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