Software-Debakel bei VW
Blume verpflichtet Software-Guru für Cariad

VW-Boss Oliver Blume und Cariad-Chef Peter Bosch haben mit Sanjay Lal einen der Top-Experten für Fahrzeug-Software verpflichtet. Dessen Laufbahn ist beeindruckend und könnte sogar einen angezählten Riesen-Konzern auf Spur bringen.

Oliver Blume VW Chef Software Strategie
Foto: VW / Patrick Lang

Seit seiner Amtseinführung Ende des vergangenen Jahres kassierte Volkswagen-Chef Oliver Blume schon so einige Pläne seines Vorgängers Herbert Diess. Beim derzeit wohl entscheidenden Problemfeld im Konzern – der Fahrzeug-Software von VW-Tochter Cariad – entließ der 54-jährige Braunschweiger jüngst den Vorstand und setzte Peter Bosch ans Steuer. Auf einer Betriebsversammlung durfte dieser jetzt einen ganz besonderen neuen Kollegen vorstellen.

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Schon ab November soll nämlich Sanjay Lal die technische Verantwortung der Software-Tochter Cariad übernehmen. Der 48-Jährige hat nicht nur bei Tesla und dem Telekommunikationsriesen Cisco gearbeitet, sondern war zuletzt "Director Engineering" bei Google Android Automotive und "Vice President, Software Platform" beim E-Start-up Rivian.

Ex-Tesla, Ex-Google, Ex-Rivian

Gerade die letzte Position, die Sanjay Lal laut seines LinkedIn-Accounts von August 2021 bis heute bekleidet, dürfte für Volkswagen interessant sein. Dort hat er mit seinem Team in kurzer Zeit eine komplett neue Software-Plattform für Fahrzeuge aufgebaut, die zudem noch hervorragend funktionieren soll. Ein solch Software-definiertes Fahrzeug schwebt wohl auch dem VW-Konzern vor, weil es für den Erfolg zukünftiger Automobile entscheidend sei.

In seiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender der VW-Tochter Cariad hatte Oliver Blume im Mai 2023 den gesamten Cariad-Vorstand um CEO Dirk Hilgenberg entlassen. Technik-Chef Lynn Longo musste ebenso gehen wie Finanzvorstand Thomas Sedran. Lediglich der Personalchef Rainer Zugehör verbliebt als Board-Mitglied.

Peter Bosch von Bentley hat übernommen

Bevor er neuer Cariad-CEO wurde, saß Peter Bosch bei Bentley im Vorstand. Er gilt gerade bei Veränderungsprozessen, wie sie die britische Nobelmarke durchlebte, als besonders fähiger Mann. Und bei Cariad dürfte viel aufzuräumen sein. Schon seit Längerem schien die Stimmung sowohl in der Software-Einheit selbst als auch in der Zusammenarbeit mit den anderen Marken schlecht zu sein.

Oliver Blume kündigte schon im Januar an, die Lage bei Cariad mit einem kleinen Team bis ins Detail analysieren zu wollen, um eine Umstrukturierung einleiten zu können. Peter Bosch schien ein Teil dieses Teams zu sein. Über die Absetzung Hilgenbergs spekulierten Insider schon seit längerem, während der Druck auf die Software-Marke finanziell stetig anwuchs.

Peter Bosch wird neuer CEO der VW-Tochter Cariad. Bisher verantwortete er die Produktion bei Bentley.

"Peter Bosch ist der richtige CEO zur richtigen Zeit", sagt Oliver Blume. "Er ist Stratege, Umsetzer und Teamplayer. Das hat er bei Bentley erfolgreich bewiesen. Er kennt den Volkswagen Konzern gut und hat zudem umfassende Change- und Beratungserfahrung". Zukünftig soll der neue CEO von zwei ausgewiesenen Software Experten im Vorstand unterstützt werden. Die entsprechenden Personalien wird Cariad zeitnah umsetzen.

Cariad soll bleiben

Blume betonte stets, dass er es wie sein Vorgänger Diess für sinnvoll erachte, den gigantischen Aufgabenbereich der Softwarekompetenz in einem Unternehmen zu bündeln. Doch bisher führte die im Jahr 2020 gegründete VW-Tochter Cariad mit ihren mittlerweile 6.000 Angestellten neben Milliarden-Abschreibungen vor allem zu nicht konkurrenzfähiger Software und schlechter Presse. Sorgen um ihren Job müssen sich die Leute bei Cariad wohl dennoch nicht machen. Schließlich benötigt Europas größter Autobauer die Software-Expertise.

Beim Auswechseln des Vorstands dürfte es nicht bleiben. Vielmehr geht es um eine komplette Restrukturierung sowie ein neues Grundsatzverständnis darüber, was Fahrzeug-Software können muss. Zudem dürften neue Technologie-Partnerschaften und die engere Zusammenarbeit mit den einzelnen Marken VW, Audi, Porsche, Seat und Skoda im Fokus liegen. Denn vor allem zukünftige Elektro-Autos mit autonomen Fahrfunktionen sind auf leistungsfähige und begeisterungsfähige Software angewiesen. Die erste Quittung bekommt der VW-Konzern derzeit in China, wo jüngst nicht nur die jahrzehntelange Marktführerschaft verloren ging, sondern der gewaltige Elektro-Boom an den Wolfsburgern vorbeizieht.

Software als wichtigste Grundlage für Autobau

Dass das Betriebssystem eines Fahrzeugs – zu dem auch die Infotainment-Gimmicks und die Vernetzungsmöglichkeiten gehören – mittlerweile auch für Kunden zu den kaufentscheidenden Kriterien zählt, dürfte Volkswagen nicht erst seit dem Tesla-Siegeszug bekannt sein. Entsprechend selbstbewusst etablierte Herbert Diess einst "die Cariad" im Konzern. Das Selbstverständnis des Tochter-Unternehmens emanzipierte sich sogar so weit, dass sich Fahrzeugentwicklungen an der Software orientieren sollten. Damit soll laut Blume Schluss sein.

"Zusammenarbeit" dürfte das neue Stichwort heißen. Denn Oliver Blume setzt verstärkt auf äußere Partner wie Bosch, Mobileye, Qualcomm oder Horizon Robotics, die vor allem die Entwicklungsgeschwindigkeit vorantreiben sollen. Trotzdem werden die Cariad-Teams auf den einzelnen Weltmärkten noch verstärkt. Allein in China dürfen sich die 900 Cariadler auf 300 neue Kollegen freuen.

Audi Q6 e-tron und Porsche e-Macan

Wie stark der Einfluss der Cariad auf ganze Baureihen-Zyklen ist, zeigte bereits der verschobene Produktionsbeginn von Audi Q6 e-tron und Porsche e-Macan. Weil die Software noch nicht fertig ist, werden beide Modelle wohl erst 2024 an die Kunden ausgeliefert. Auch wenn Cariad jetzt neu strukturiert wird – der große Druck bleibt.

Für das komplett neue Betriebssystem 2.0, das mit dem Projekt "Trinity" autonome Fahrfunktionen auf Level 4 ermöglichen soll, hat sich Wolfsburg schon jetzt zwei Jahre mehr Zeit verschafft. Statt 2026 wird die High-Tech-Plattform – wenn überhaupt – wohl erst 2028 fertig. Noch so ein Problem-Thema, das bei Investoren, Märkten und Aufsichtsräten für schlechte Stimmung sorgt. Die für Mittwoch (10.05.2023) geplante Hauptversammlung in Berlin wird für Oliver Blume sicher kein Zuckerschlecken.

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Fazit

Volkswagen möchte seine Softwaresparte komplett umstrukturieren und verpflichtet nach Peter Bosch nun Sanjay Lal – einen echten Software-Guru aus dem Silicon Valley. Lal’s Lebenslauf beinhaltet Entscheider-Funktionen bei Google, Tesla und Rivian. Mit einer Neuausrichtung von Cariad wollen die Wolfsburger die Entwicklungszeiten verkürzen, die Zusammenarbeit mit externen Firmen wie Bosch, Mobileye, Qualcomm oder Horizon Robotics vertiefen und den Weg zur Software-Generation 2.0 fürs autonome Fahren ebnen.