Wildwechsel
Neuer Reflektor soll Wildunfälle vermeiden

Der Jäger Konrad Löhnert aus Bayreuth will mit einem blauen Warnreflektor die Zahl der Wildunfälle verringern. Nach ersten Erfolgen versuchen jetzt zwei wissenschaftliche Einrichtungen, die dauerhafte Wirksamkeit der Maßnahme zu prüfen.

Wildwechsel, Konrad Löhnert
Foto: Ingolf Pompe

„Den ganzen Zauber möchte ich nicht noch einmal machen müssen“, sagt Konrad Löhnert, beugt sich nach vorn und lächelt gequält: „Aber es lag mir am Herzen, weil ich daran glaube.“ Das Herzblut des 76-jährigen Bayreuthers hängt an einem blauen Reflektor – 150 Millimeter lang, 65 Millimeter breit und 70 Gramm leicht. Denn damit will der passionierte Jäger den Blutzoll von Mensch und Wild auf Deutschlands Straßen reduzieren.

Fast 210.000 Wildunfälle zählte der Deutsche Jagdverband in der Jagdsaison 2012/2013, und damit 7 % mehr als im Vorjahr. Vor allem die Zahl der Unfälle mit Wildschweinen steigt. Diesem Zuwachs soll der blaue Halbkreisreflektor entgegenwirken, den Löhnert erfunden hat. Er wird auf der straßenabgewandten Seite an die Leitpfosten geschraubt. Sobald ein Auto im Dunkeln die Straße entlangfährt, kommt es zu einer bläulichen Reflexion, die eine Bewegung simuliert und das Wild verscheuchen soll.

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Wildunfällen haben oft dramatische Folgen für Mensch und Tier

Löhnert erfindet den Reflektor zunächst aus Eigennutz. Als er 2004 in Rente geht, verenden über die Hälfte der Tiere, die Löhnert zum Eigenbedarf und Verkauf hätte schießen dürfen, auf der Straße – und sind dadurch für den Verzehr unbrauchbar. Aus Autofahrersicht gestaltet sich ein Wildunfall noch viel dramatischer. Die Wucht, mit der ein Wildschwein bei Tempo 60 in die Frontpartie eines Autos einschlägt, entspricht einem Gewicht von 3,5 Tonnen. Bei einem Rothirsch sind es sogar 5 Tonnen – das Gewicht eines ausgewachsenen Elefanten. Wer da nur mit einem Blechschaden davonkommt, kann sich glücklich schätzen. Laut Bundesanstalt für Straßenwesen waren 2012 fast 3.000 Verletzte und 20 Tote durch Wildunfälle zu beklagen.

Löhnert muss oft nachts in sein Revier fahren und die verheerenden Folgen für Mensch und Tier begutachten. Um diese zu vermeiden, gibt es bereits verschiedene Maßnahmen: Wildzäune, die überwiegend an Autobahnen aufgestellt werden, weil sie das Wanderverhalten der Tiere verhindern. Deshalb braucht man zusätzlich teure Wildwechselbrücken. Auch für elektronische Wildwarnanlagen fallen mehrere 100.000 Euro an. Deshalb werden sie nur an besonders kritischen Punkten installiert. Brücken und Warnanlagen liegen wie Warnschilder in der Zuständigkeit der Straßenämter. Löhnert: „Bei den Wildwechsel-Warnschildern gibt es definitiv einen Gewöhnungseffekt beim Autofahrer.“

Bei Löhnert wird die Jagd auf Wildunfälle zur Passion. Deshalb kauft er für sein Revier zunächst weitere gängige Präventionsmaßnahmen: einen Duftzaun, der das Wild mit dem Geruch von Fressfeinden von der Straße fernhalten soll, und rote Reflektoren, die das Wild verscheuchen sollen, wenn ein Auto vorbeikommt – dauerhafter Erfolg will sich trotzdem nicht einstellen. Dann liest er einen Artikel über die Farbwahrnehmung von Tieren. Löhnert fällt es wie Schuppen von den Augen. „Entscheidend ist die blaue Farbe des Reflektors“, erklärt er, „es reicht eigentlich schon das bloße Beleuchten der Reflektoren.“

Im Gegensatz zum Menschen haben die meisten Schalenwildarten wie Reh, Hirsch oder Wildschwein nur zwei Zapfen im Auge, die für das Farbsehen verantwortlich sind: einen für Blautöne und einen für Farbtöne von Grün bis Gelb. Ein Zapfen für rote Farbe fehlt dem Wild. Es sieht darin nur eine weitere Grünabstufung. Blau dagegen sticht hervor, soll sogar eine Warnfarbe sein, weil es kaum in der Natur vorkommt.

„Ich habe nur das Wissen über das Farbsehen des Wildes in die Praxis umgesetzt“, erzählt Löhnert. Er wiegt den Halbkreisreflektor in seiner Hand und streicht über die blaue Reflexionsfolie. Dass niemand bisher auf die Idee gekommen ist, kann er sich nicht erklären. Sein ehemaliger Beruf hilft ihm, die Entwicklung richtig anzugehen. Als studierter Landwirt arbeitete er bei einer Landtechnikfirma 50 Jahre lang in der Produktentwicklung und im Patentwesen. So wird aus der Idee Wirklichkeit: „Das rechne ich mir als Verdienst an. Und dass ich so viel Kraft aufgebracht habe, es durchzusetzen.“

Die braucht er, denn er stößt auf Widerstand: „Das Schlimmste war die Einführung, weil sie von Beamten abhängig war. Reichsbedenkenträger.“ Sie zweifelten an der Verkehrssicherheit der Reflektoren. Die für die Straßen zuständigen Behörden befürchteten, dass die Reflektoren Autofahrer blenden könnten. Löhnert kneift die Augen zusammen: „Das ist die gleiche Folie wie bei den blauen Autobahnschildern, dann müsste man die ja auch verbieten.“ Er lässt ein Gutachten vom Lichttechnischen Institut der Universität Karlsruhe anfertigen, das eine störende Wirkung auf Autofahrer ausschließt. Löhnert knetet die Hände im Schoß: „Viele Vorschriften wurden mir in den Weg gelegt. Ich habe sie alle erfüllt.“ Nach dem ersten Behördenmarathon installiert er die blauen Reflektoren in seinem Revier.

Die Reflektoren helfen

Im Subaru Outback fährt er auf kurvenreichen Straßen zwischen Fichtelgebirge und Fränkischer Schweiz zu seinem Revier. Fast überall hängen blaue Halbkreisreflektoren an den Leitpfosten. Denn weitere Jäger wurden auf die Rückstrahler aufmerksam und bestellten auch für ihr Revier welche. In Löhnerts Revier ging die Zahl der Wildunfälle von zehn auf zwei pro Jahr zurück und bleibt konstant. Durch Mund-zu-Mund-Propaganda kommen immer mehr Interessenten hinzu. 2005 meldet er ein Gewerbe an. Während dieser Zeit sitzt Löhnert täglich mit seiner Frau im Waschkeller und bestreicht die Plastikformen mit Haftmittel für die Folie. Nachdem immer mehr Anfragen kommen, lässt er ab 2007 von einer Firma produzieren. Den Reflektor vermarktet er für 5,64 Euro das Stück.

Wenig Geld, gemessen am steigenden Sachschaden durch Wildunfälle. Der Gesamtverband der Versicherer spricht von 583 Millionen Euro im Jahr 2012. "Trotzdem sieht ein Großteil der Versicherungen und der Staat den Vorteil nicht", sagt er. Das liegt auch daran, dass die Wirksamkeit nicht wissenschaftlich belegt ist. Löhnert hat zwar 500 Fragebögen an seine Kunden aus der Jägerschaft gesendet und ausgewertet – mit durchgehend positiven Ergebnissen. "Aber weil ich die Umfrage selbst durchgeführt habe, nimmt sie niemand ernst", sagt er.

Das ändert sich jetzt: Zwei Forschungsprojekte überprüfen aktuell die Wirksamkeit. An der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg in Freiburg versucht man mit Hilfe von Satellitentelemetrie, eine Wirkung des Reflektors zu dokumentieren. Falko Brieger und Max Kröschel haben 46 Rehe mit GPS-Halsbändern ausgestattet, um ihr Verhalten über mehrere Jahre zu beobachten. Ergebnisse wollen die beiden Wissenschaftler zur Jahresmitte präsentieren.

Ähnliche Ziele hat das Projekt des Instituts für Wildbiologie in Göttingen im Auftrag von ADAC und Jagdverband. Auf 25 Strecken untersuchen die Mitarbeiter in einem Vorher-nachher-Vergleich die Wirksamkeit des blauen Halbkreisreflektors und des Duftzauns – Löhnert skeptisch: "Sobald der Wind dreht, funktioniert der Zaun nicht mehr." Über vier Jahre werden die Unfallzahlen auf den Versuchsstrecken dokumentiert. Bis 2015 läuft das Projekt, 2013 wurde Halbzeitbilanz gezogen: "Die Wildunfälle sind auf fast allen Versuchsstrecken zurückgegangen. Allerdings ist der blaue Halbkreisreflektor nicht auf allen Strecken gleich wirksam: Teilweise gingen die Wildunfälle um bis zu 80 Prozent zurück, auf vereinzelten Strecken kam es aber zu keiner deutlichen Verbesserung", fasst Christian Trothe vom Institut für Wildbiologie zusammen. Unter welchen Bedingungen der Reflektor funktioniert, sollen die kommenden zwei Jahre klären.

Nachfrage der Reflektoren steigt

Währenddessen steigt die Nachfrage nach den blauen Halbkreisreflektoren. „2012 haben wir 180.000 Stück verkauft, auch in die Schweiz, in die Niederlande und nach Österreich“, erzählt Löhnert. Mittlerweile kommen auch Kopien auf den Markt. Gegen einige musste er patentrechtlich vorgehen. „Insgeheim sind die Nachahmer aber auch Genugtuung“, verrät Löhnert. 2013 hat er das Unternehmen an die Schilderwerke Beutha abgegeben, um sich zur Ruhe zu setzen. Denn der Kampf hat Kraft gekostet. „Meine Frau sagt immer, wir hätten doch auch gut von der Rente leben können“, erzählt er, rutscht auf die Kante des Sessels und grinst: „Bevor Sie fragen, ja, ich habe schon wieder etwas Neues entwickelt.“ Er zeigt eine Broschüre mit einem Gegenstand, der Wild von Feldern fernhalten soll.

Wildunfälle vermeiden

Erhöhtes Risiko besteht nachts und in der Morgen- und Abenddämmerung, weil das Wild zu dieser Zeit aktiv ist. Auch im Frühjahr, wenn der Winter lang war und die Tiere Hunger haben, kommt es zu vermehrtem Wildwechsel, weil der Hunger der Tiere stärker ist als ihre Angst. Bei Wildwechsel-Warnschildern sollten Sie langsam und konzentriert mit maximal 60 km/h fahren – und dabei Wald- und Straßenränder beobachten. Taucht Wild auf, sollten Sie sofort abblenden und abbremsen. Durch das Abblenden der Scheinwerfer kann das Wild fliehen, ansonsten ist es von der starken Lichtquelle irritiert und bleibt auf der Straße stehen. Hupen Sie, um das Wild zu verscheuchen, und fahren Sie langsam vorbei. Wenn ein Tier die Straße überquert, sollten Sie immer mit Nachzüglern rechnen. Wenn Sie nicht mehr ausweichen können: Halten Sie das Lenkrad fest, bleiben Sie auf Ihrer Fahrspur und bremsen Sie maximal ab. Lassen Sie die Kollision zu. Machen Sie keine riskanten Ausweichmanöver, denn die enden oft am nächsten Baum oder im Gegenverkehr.

Wenn es zur Kollision gekommen ist, benachrichtigen Sie sofort die Polizei, auch wenn das angefahrene Wild im Wald verschwunden ist. Merken Sie sich die Richtung, in die es geflüchtet ist. Angefahrene Tiere sollten Sie auf keinen Fall mit bloßen Händen berühren, da sie Krankheiten übertragen können. Das getötete Wild dürfen Sie nicht mitnehmen – das ist rechtswidrig und wird als Wilderei bestraft. Für die weitere Schadensregulierung sollten Sie sich eine Bescheinigung über den Wildunfall von der Polizei oder dem zuständigen Förster ausstellen lassen. Der Gesamtverband der Versicherer empfiehlt, Bilder von der Unfallstelle zu machen und den Versicherer anzurufen, bevor Reparaturen am Fahrzeug vorgenommen werden.