1,9 Milliarden Dollar Verlust
GM kürzt Investitionen in autonomes Fahren heftig

GM kürzt die Investitionen in seine für autonomes Fahren zuständige Tochter Cruise um mehrere 100 Millionen Dollar.

Cruise Origin
Foto: GM/Honda

GM nimmt bei seiner Tochter Cruise weiter Geschwindigkeit raus: Die für die Erforschung des vollautonomen Fahrens zuständige Abteilung bekommt künftig deutlich weniger Budget als bisher. Um mehrere 100 Millionen Dollar sollen die Investitionen sinken. In den vergangenen neun Monaten hat Cruise 1,9 Milliarden Dollar (aktuell umgerechnet zirka 1,74 Millionen Euro) Verlust eingefahren. Zum Vergleich: Der diesjährige Streik der GM-Mitarbeiter hat den Konzern mit 1,1 Milliarden Dollar (1,01 Milliarden Euro) deutlich weniger gekostet.

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Den massiven Investitionskürzungen war für Cruise ein Entzug der Testzulassung in Kalifornien vorausgegangen. Vollautonom fahrende Fahrzeuge von Cruise hatten in San Francisco mehrfach pro Tag Rettungsfahrzeuge blockiert, durch ruckartiges Bremsen Auffahrunfälle verursacht und eine Fußgängerin mehrere Meter mitgeschleift. Zum Unfall mit der Fußgängerin sollen Cruise-Verantwortliche gegenüber US-Ermittlungsbehörden wichtige Details zurückgehalten haben, was zum Lizenzentzug geführt hatte. Daraufhin hat Cruise seinen Testbetrieb komplett eingestellt sowie die Produktion des Robo-Taxis Origin pausiert. Cruise-Chef Kyle Vogt und Chief Operations Officer Dan Kan mussten inzwischen gehen – beide hatten die Firma mitgegründet.

Produktion von Robotaxi pausiert

GM stellt die Produktion seines Robotaxis Origin in der Factory Zero in Detroit-Hamtramck vorrübergehend ein. Nach einem behördlichen Verbot in Kalifornien, pausiert GM seine Tests mit vollautonomen Robotaxis US-weit. Infolgedessen ist es jetzt zur Produktionspause des Origin gekommen. Der Origin ist ein von vornherein auf vollautonomes Fahren ausgelegtes Auto, dass kein Lenkrad und keine Pedale hat – es gibt nicht mal einen Platz für den Fahrer. Mit dem zum Robotaxi umgebauten und bis vor kurzem eingesetzten Chevrolet Bolt hat der busförmige Origin nichts zu tun. Bisher hat GM nach eigenen Angaben nur eine kleine Zahl von Vorserien-Origin hergestellt – dabei sollte 2023 die Serienproduktion anlaufen. Das Großraum-Taxi hat GM zusammen mit Honda entwickelt – eine Erprobung sollte ab 2026 auch in Japan stattfinden. Ab sofort liegt das Projekt auf Eis.

Cruise Origin
GM/Honda

Kein Platz für den Fahrer, kein Lenkrad, keine Pedale: Der Cruise Origin ist ein von vornherein als vollautonomes Robotaxi entwickeltes Fahrzeug.

Allerdings gibt GM seine Bemühungen bei der Entwicklung von vollautonomen Fahrzeugen nicht komplett auf. Laut der US-Behörde National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) bekommen alle 950 Cruise-Modelle ein drahtloses Update – obwohl der Konzern sie sowieso in die Werkstätten zurückholt. Es gilt als wahrscheinlich, dass GM danach seine Robotaxi-Flotte wieder in Betrieb nimmt. Allerdings hat GM-Chefin Mary Barra inzwischen betont, dass Cruise nur noch in einer Stadt testen werde. Und dass GM einiges unternehmen müsse, um Sicherheit beim autonomen Fahren zu gewährleisten und das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen.

Robotaxi-Betrieb personalintensiv und teuer

Nachdem die GM-Robotaxi-Tochter Cruise ihre Testfahrten komplett ausgesetzt hat, kommen auch Informationen zu den Betriebskosten des Dienstes ans Licht. Die New York Times berichtet, dass GM 2023 pro Quartal zirka 600 Millionen Dollar in die Erprobung pumpen musste – das sind aktuell umgerechnet zirka 562 Millionen Euro. Gegenüber den Vorjahreskosten bedeutet dies eine Steigerung um 42 Prozent. Jedes Robotaxi hat GM 150.000 bis 200.000 Dollar (140.500 bis 187.333 Euro) gekostet. Zur Einordnung: Der als Basisfahrzeug eingesetzte Chevrolet Bolt kostet als Neuwagen aktuell 27.000 Dollar (25.290 Euro).

Heruntergerechnet kamen auf jedes Robotaxi bei Cruise 1,5 Angestellte. Und die Angestellten hatten gut zu tun: Alle vier bis zehn gefahrene Kilometer hat ein Robotaxi ein derart schweres Problem gemeldet, dass die Angestellten eingreifen mussten. Von vollautonomer Fahrt waren die Taxis also weit entfernt.

Ferner haben die Cruise-Verantwortlichen inzwischen eine Anwaltskanzlei beauftragt, das Verhalten des Unternehmens bei einem schweren Unfall zu untersuchen. Angeblich hatten Cruise-Mitarbeiter nach einem schweren Unfall (siehe fünfter Absatz) den Ermittlungsbehörden nicht sämtliche verfügbaren Daten, darunter belastendes Filmmaterial, zur Verfügung gestellt.

Cruise-Insider glauben an keine schnelle Lösung

Die New York Times zitiert Cruise-Insider, die davon ausgehen, dass der Robotaxi-Anbieter die aktuellen Probleme nicht schnell beheben kann. Auch die Tragfähigkeit des gesamten Robotaxi-Konzepts steht angesichts der massiven Kosten auf dem Prüfstand. Eigentlich wollte Cruise in Kürze auch mit Tests in Japan beginnen – dieser Testbetrieb dürfte inzwischen vom Tisch sein. GM-Geschäftsführerin Mary Barra geht allerdings davon aus, dass Cruise 2030 bereits 50 Milliarden Dollar (46,83 Milliarden Euro) Umsatz erwirtschaftet – ein Ziel, das angesichts der aktuellen Entwicklungen sehr ambitioniert wirkt.

Erst vor wenigen Wochen wurde der GM-Tochter Cruise in Kalifornien von den Behörden der Betrieb seiner vollautonomen Autos untersagt. Daraufhin hat GM von sich aus angekündigt, den Betrieb seiner Robotaxi-Firma Cruise landesweit einzustellen. Über das soziale Netzwerk LinkedIn teilte die GM-Tochter Cruise mit, die Reaktion sei eine Maßnahme, um Vertrauen zu gewinnen. Das eigene Vorgehen solle jetzt auf den Prüfstand gestellt werden.

Das California Department of Motor Vehicles (DMV) hatte zuvor die Genehmigung für solche Tests ausgesetzt, nachdem Details zu einem schweren Unfall von einer Fußgängerin mit einem Cruise-Fahrzeug bekannt geworden waren. Bei dem Unfall hatte der von Cruise umgerüstete und betriebene Chevrolet Bolt eine Fußgängerin überfahren, die direkt zuvor ein mit einem menschlichen Fahrer besetztes Fahrzeug zu Boden geschleudert hatte. Was bisher nicht bekannt war: Nachdem die Fußgängerin bereits unter dem Auto lag und das vollautonome Cruise-Fahrzeug angehalten hatte, fuhr es noch an den Straßenrand. Dies war von der Cruise-Software für bestimmte Unfall-Szenarien vorgesehen – natürlich nicht für einen Fall, in dem noch ein Unfallopfer unter dem Auto liegt. Das Auto hatte das Unfallopfer noch zirka sechs Meter mit einer Geschwindigkeit von bis zu elf km/h mitgeschleift. Dieses dramatische Detail sollen die Cruise-Verantwortlichen gegenüber dem DMV verschwiegen haben.

Sowohl die California Highway Patrol als auch das DMV untersuchen den Fall. Beide Behörden sollen von Cruise unvollständiges Videomaterial zu dem Vorfall erhalten haben – der Teil mit dem Wiederanfahren nach dem Unfall fehlt. Vom zweiten Teil des Videos hat die DMV erst von einer weiteren ungenannten Regierungsbehörde erfahren. Das DMV betont jetzt: "Wenn ein unverhältnismäßiges Risiko für die öffentliche Sicherheit besteht, kann das DMV Genehmigungen sofort aussetzen oder widerrufen. Es gibt keine festgelegte Zeit für eine Aussetzung". Seit Juni 2022 durfte Cruise vollautonome Fahrzeuge im kalifornischen San Francisco testen. Inzwischen sind auch Cruise-Fahrzeuge in Seattle (Washington), Washington D.C. und Austin (Texas) unterwegs.

Das kalifornische Kraftfahrzeug-Amt ist wegen des Verhaltens von Cruise sichtlich wütend: "Das kalifornische DMV hat Cruise heute darüber informiert, dass das Ministerium die Genehmigungen für den Einsatz autonomer Fahrzeuge und fahrerloser Tests von Cruise mit sofortiger Wirkung aussetzt." Als Grund führt die Behörde an: "Der Hersteller hat alle Informationen zur Sicherheit der autonomen Technologie seiner Fahrzeuge falsch dargestellt". Die Autos von Cruise seien "nicht sicher für den öffentlichen Betrieb".

Vier Unfälle mit Fußgängern

In San Francisco sind vier Vorfälle bekannt, in denen Robotaxis der Firma Cruise Fußgänger angefahren haben. Daraufhin mussten mindestens zwei Fußgänger ins Krankenhaus. Über zwei der Vorfälle sind bei der US-Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA (National Highway Traffic Safety Administration) Meldungen eingegangen, von zwei weiteren hat die Behörde über Internetvideos erfahren. Jetzt untersuchen die Beamten die Unfälle.

Der eingangs erwähnte Unfall ist möglicherweise der bisher schwerste: Dabei hat ein Robotaxi der GM-Tochter Cruise bei Dunkelheit auf der zentralen Marketstreet an einer roten Ampel gewartet. Als die Ampel für die Fahrzeuge auf Grün geschaltet hat, ist das Cruise-Taxi losgefahren. Zu diesem Zeitpunkt hat eine Fußgängerin die Fahrbahn betreten, woraufhin sie ein mit einem menschlichen Fahrer besetztes Auto gestreift hat. Dadurch stürzte die Fußgängerin vor das unbesetzte Taxi, das trotz einer Vollbremsung nicht mehr rechtzeitig anhalten konnte. Die Frau geriet unter das Taxi, Feuerwehrleute mussten sie mit Spezialwerkzeug befreien. Die schwer verletzte Frau kam in ein Krankenhaus – der menschliche Fahrer beging Unfallflucht. Erst eine Woche später kam heraus, dass das Cruise-Robotaxi nochmal angefahren ist und das Unfallopfer noch einige Meter mitgeschleift hat.

Fußgänger im Krankenhaus

In einem weiteren Fall wartete wieder ein Cruise-Taxi an einer roten Ampel. Nach dem Umschalten auf Grün ist das Taxi langsam angerollt. Wieder ist eine Person auf die Straße gegangen, obwohl die Ampel für sie auf Rot stand. Das Taxi fuhr die Person mit einer Geschwindigkeit von zwei km/h an – sie musste daraufhin ins Krankenhaus. Zu den beiden weiteren Fällen hat die NHTSA noch keine Informationen veröffentlicht.

Häufiges Blockieren von Rettungswegen

Cruise und Waymo (Tochter des Google-Mutterkonzerns Alphabet) dürfen in San Francisco kostenpflichtige Fahrten in vollautonomen Fahrzeugen anbieten – trotz lauter Kritik der Stadt-Feuerwehr, die inzwischen 75 Vorfällte mit Robotaxis registriert hat. Die Feuerwehrleute weisen auf zahlreiche Vorfälle hin, in denen Robotaxis Rettungsarbeiten behindert haben – im Schnitt soll es täglich zu drei solcher Behinderungen kommen. Außerdem ist bereits ein Feuerwehrauto mit einem Cruise-Taxi kollidiert. Anfang September 2023 sollen zwei Cruise-Taxis einem Rettungswagen den Weg blockiert haben – dies soll dazu beigetragen haben, dass die zu rettende schwer verletzte Person nicht überlebt hat. Daraufhin durfte Cruise nur noch 200 anstelle von 400 Robotaxis in San Francisco testen. Kreuzungsblockaden von zusammengerotteten Robotaxis gab es inzwischen bereits mehrere. Einige Einwohner von San Francisco fühlen sich anscheinend von den autonomen Robotaxi-Flotten terrorisiert. Sowohl gegen Fahrzeuge von Cruise als auch von Waymo gab es nach US-amerikanischen Medienberichten schon Sabotage-Versuche – beispielsweise durch das Aufstellen von Verkehrskegeln an dafür nicht vorgesehenen Orten.

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Fazit

Blockierte Kreuzungen, Behinderungen von Rettungsarbeiten und Verletzung von Fußgängern: Es kam permanent zu Zwischenfällen mit den vollautonomen Taxiflotten in San Francisco – Teile der Bevölkerung fühlten sich bereits terrorisiert und antworteten mit Sabotage-Maßnahmen. Bei den beiden zuletzt von der NHTSA genannten Zwischenfällen sind die Fußgänger allerdings bei Rot auf die Kreuzung gegangen; in einem Fall war auch ein Fahrzeug mit einem menschlichen Fahrer beteiligt. Ob ein menschlicher Fahrer so einen Unfall hätte vermeiden können, dürfte Gegenstand der NHTSA-Untersuchungen sein.

Verantwortliche der GM-Tochter Cruise haben jetzt anscheinend einen entscheidenden Fehler gemacht und US-Verkehrsbehörden über den schwersten der vier Unfälle belogen. Über den Teil, bei dem das vollautonome Auto trotz eines darunterliegenden Unfallopfers wieder beschleunigt hat, informierten sie die Behörden anscheinend nicht. Daraufhin hat das kalifornische Kraftfahrtamt Cruise die Erlaubnis zum Test von vollautonomen Fahrzeugen entzogen. GM hat daraufhin sämtliche Cruise-Testaktivitäten eingestellt. Im Zuge der Einstellung des Testbetriebs kam heraus, dass das Betreiben der Robotaxi-Testflotte extrem kosten- und sehr personalintensiv ist. Jetzt bestehen Zweifel an der wirtschaftlichen Tragfähigkeit des Konzepts. Die Produktion des Robotaxis der nächsten Generation, Cruise Origin, hat GM erst einmal ausgesetzt. Cruise-Chef Kyle Vogt und Chief Operations Officer Dan Kan mussten inzwischen gehen, seine Investitionen in die Erforschung des vollautonomen Fahrens kürzt GM um mehrere 100 Millionen Dollar.

Insgesamt scheint das Thema vollautonomes Fahren unerwartet komplex zu sein. Menschliche Fahrer kalkulieren oft die Fehler anderer Verkehrsteilnehmer mit ein – und gleichen diese erfolgreich aus. Dieser Aspekt ist den Algorithmen vollautonomer Fahrzeuge möglicherweise noch fremd. Dass in San Francisco Robotaxis noch lange fahren durften, obwohl sie anscheinend permanent Rettungsarbeiten der Feuerwehr behindert haben, war nur schwer nachvollziehbar.