Matra Murena 1.6
Flotter Dreier mit Plastikkleid

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Wer sich für den Matra Murena, die rare Mittelmotorflunder aus Frankreich, entscheidet, wird für seinen Mut mit viel Fahrspaß und obendrein mit zwei glücklichen Beifahrern belohnt.

Marta Murena 1.6, Seitenansicht
Foto: Sebas Romero

Der helle Flokati-Teppich, auf dem ich hocke, ist aus den späten 70ern. Mitten in dem raschelnden Relikt stoße ich auf das, was ich gesucht hatte: ich in Shorts, zwei Jahre alt, vor dem Ferienbungalow im heißen Korsika und neben unserem Familienauto - einem orangefarbenen Matra Bagheera.

In mir startet der Erinnerungsfilm vom Beladen des aus heutiger Sicht unfassbar kompakten und flachen Wagens mit dem ultimativen Alleinstellungsmerkmal: drei Sitze in Reihe 1. Jeden Milliliter des Laderaums hatte mein Vater ausgefüllt, mich in die Mitte geschnallt, die Kühltasche zwischen die Waden meiner Mutter geklemmt - und ab zur Fähre nach Genua.

Als Kind die Gänge rausgetreten

Schwitzen, schwitzen und wieder schwitzen. Aus den beiden Lautsprechern des Matra Bagheera dudelte Musik von der eigens für den Trip zusammengeschnittenen Kassette, dominiert von Chanson-Wünschen meiner Mutter, die noch heute gerne erzählt, wie das Kind in der Mitte ständig die Gänge mit den Füßen rausgetreten hat.

So mutig muss man erst mal sein, mit dem seinerzeit offiziell als "miesester Sportwagen überhaupt" betitelten Fahrzeug auf eine zweiwöchige Urlaubsreise ins sommerliche Südeuropa aufzubrechen. Noch unfassbarer: Wir kamen in unserem Matra Bagheera ohne das geringste technische Malheur hin und zurück.

Gibt es überhaupt noch Matra?

So inspiriert, mache ich mich auf die Suche - und finde einen Matra Bagheera in der Nähe. Das muss ich mir anschauen. Leider erweist sich der Wagen als eine Katastrophe, doch der Gedanke an einen Matra lässt mich nicht mehr los. Dabei dreht sich alles immer wieder um die magischen drei Sitze vorn. Zu schön ist die Vorstellung, meine beiden Söhne neben mir anzugurten. Nie wieder das Geschrei, wer vorne bei Mama sitzen darf.

Also wird recherchiert, in Büchern geblättert, eine Messe besucht, durch Foren geklickt und natürlich versucht, alle offerierten Matra aufzuspüren. Recht schnell wird mir klar: Ein Bagheera soll es doch nicht sein. Zu komplex, zu selten und mit einem zu mutigen bis improvisierten Technik-Konzept versehen, war diese Matra-Variante schon zwischen 1973 und 1980 ein Fall für die ganz Tapferen (wie meinen Vater). Als Daily Driver im Jahr 2015 fällt sie für eine zweifache Mutter aus dem Raster.

Matra Murena statt Bagheera

Also weitergeschwenkt auf die logische Evolutionsstufe mit Namen Matra Murena. Schließlich trägt das ab 1980 im Handel erhältliche Coupé die gleichen ideologischen Zutaten wie sein Vorgänger: Vierzylinder-Mittelmotor, Heckantrieb und eben den einzigartigen Dreisitz-Salon ohne lästigen Kardantunnel – und all das in besserer Ausführung.

Die fähigen Matra-Ingenieure waren damals so gewaltig angefressen von der Bagheera-Schmäh, dass man nichts mehr anbrennen lassen und um jeden Preis beweisen wollte, dass aus dem Département Loiret-Cher einwandfreie Autos kommen. "Wir haben dreimal hintereinander Le Mans mit einem komplett selbst entwickelten Zwölfzylinder gewonnen, da werden wir doch wohl auch ein zuverlässiges Mittelmotor-Coupé für die Straße bauen können!" – so oder ähnlich wurde wohl seinerzeit in die Entwicklungsabteilung hineingebrüllt - heraus kam der Matra Murena.

Das hat gefruchtet. Nach fast 10.000 Kilometern in meinem 1981er-Murena unterschreibe ich nun jede Rehabilitation für Matra. Zugegeben, das Auto, das ich nun seit 2013 mein Eigen nenne, ist ein Glücksfall. Auch der freundliche Herr vom TÜV hat gestaunt und auch ohne kurzen Rock "ohne Mängel" bescheinigt. Nur die Batterie hat er nicht gefunden - die versteckt sich im Matra Murena flach hinter dem Reserverad, welches wiederum unter der vorderen Nichtmotorhaube liegt.

Simca-Motor mit 90 PS

Meine 1600er-Variante des Simca-Motors gilt als die problemloseste Art, einen Matra Murena zu fahren. Mit 90 PS zwar keine Rakete, aber keinesfalls lahm, klar besser zugänglich als die mit Weber-Doppelvergasern aufgequollene 2,2-Liter-Version. Dank der kurzen Übersetzung, fünf Gängen und einer eher drehmomentorientierten Auslegung marschiert die französische Flunder mit ihren 951 kg durchaus angemessen und verfeuert unter zehn Liter Sprit.

Durch die mittige Platzierung fächert das Triebwerk zudem einen angenehm röhrigen Sound ins Dreierabteil. Zufrieden war der Prüfingenieur auch mit der Karosse meines Matra Murena, die ja zum Teil aus Kunststoff besteht. Korrosion? Non merci! Und dank der löblichen Pflege der Vorbesitzerin(!) über genau 30 Jahre genieße ich nun ein bis dato völlig problemloses Alltagsauto, das sogar einen Hauch von Familienpraxis mitbringt. Das hinter dem Motor angelegte Gepäckabteil fasst übrigens locker zwei Kisten Wasser.

Na gut, die Tochter eines Autoextremisten (den es nach wie vor jährlich nach Korsika zieht) ist wohl vollkommen französisch vernebelt, werden Sie denken. Das gibt es doch nicht, dass dieses praktisch nie im Straßenverkehr auftauchende Auto frei von groben Fehlern ist?

Einsam unter Elfern

Oh doch - und es gibt beim Matra Murena sogar noch mehr Pluspunkte: So besitzt man mit hoher Wahrscheinlichkeit bei jeder Klassik-Veranstaltung den einzigen Matra und kann genüsslich auf der Wiese zwischen 14 restaurierten Elfern einparken. Fast schon begehrenswert machen den Murena eine Handvoll Details, die irgendwo zwischen genial und dubios liegen. Französisch halt. Da wären etwa der elegant versteckte Benzin-Einfüllstutzen, der zur Mittelarmlehne mutierende mittlere Sitz, die verwegen funktionierenden Lichthebel, der bestens zu dosierende Choke oder die perfekt positionierte Fußstütze.

Überraschend problemlos gestaltet sich bis dato zudem die Wartung des Matra Murena 1.6 in Sportausführung. Den normalen Service erledigt eine freie Peugeot-Werkstatt - klar, an Simca haben die früher viel geschraubt - dank verbauter Großserientechnik ohne Stress. Im hintersten Eck des Meisterbüros fanden sich gar noch die originalen Mikrofiches. Der fällige Endschalldämpfer war schnell und günstig aufgetrieben.

Ein paar - fast sympatische - Macken hat der Matra Murena

Also gut, ein paar Macken hat er schon. Gemessen an der messerscharfen Optik ist der Wagen in Bewegung wenig straff und präzise. Bei zügiger Fahrt will das verrückt gestylte Volant mit feiner Hand gesteuert werden. Gleiches gilt für die Bedienung der Schaltbox. Matra Murena-Getriebe funktionieren, mehr aber auch nicht. Wie die dreistufige Gebläselüftung der Kabine: Selbst bei kühlem Herbstwetter empfiehlt es sich, die linke Seitenscheibe ein wenig zu öffnen.

Schlussendlich geht es auch in meinem Fall mit dem Matra Murena wieder um das röhrende Fortbewegen wunderbarer Kindheitserinnerungen und die Weitergabe automobiler Passion. Und um den Genuss einer außergewöhnlichen Konstruktion, das Erleben eines von Genie und Wahnsinn gesteuerten Projekts "made in France". Merci vielmals also: für den Mut, dieses besondere Auto auf die Räder zu stellen, aussichtslos von Beginn an gegen Alfa, BMW, Porsche etc.

Das Allerbeste am unperfekten und deshalb so schönen Matra-Leben? Neben mir grinsen immer beide Kinder um die Wette. Und ja, der Kurze hat auch mir schon den vierten Gang mit dem Fuß rausgehauen.

So viel kostet ein Matra Murena

Wer sich nun für einen Matra Murena interessiert, hat eine schöne Aufgabe vor sich: Eine langwierige Suche nach dem bestmöglichen Exemplar. Denn gerade bei diesem Wagen lohnt es sich, lieber mehr Geld in die Hand zu nehmen und dafür die bessere Substanz zu bekommen. Laut Classic-Analytics liegt ein Matra Murena im Zustand 2 bei rund 9.800 Euro, ein Zustand-4-Exemplar bei etwa 2.400 Euro.

Jetzt gilt es nur noch, ein wirklich gutes Auto zu finden. Als erstes fällt einem da natürlich Südfrankreich ein - hier könnte man einen Urlaub direkt mit der Suche verbinden. Doch die Idee hatten schon viele andere viel früher. Denn auch wenn die Preise auf vergleichsweise niedrigem Niveau liegen - sie bleiben stabil. Die Einzigartigkeit des Matra Murena findet immer mehr Freunde.

50 Jahre Matra

Böse Zungen behaupten, der 1941 gegründete französische Rüstungskonzern Mécanique Avion Traction habe 1964 nur deshalb Automobiles René Bonnet übernommen und ab 1965 Autos unter dem Namen Matra gebaut, um von seinen Raketen abzulenken und sich ein freundlicheres Image zu beschaffen.

Ob da etwas dran ist oder nicht: Es hat jedenfalls geklappt. Zumindest Automobilkenner denken bei Matra eher an den Djet, den 530, den Bagheera und den Murena sowie an den von Matra entwickelten Renault Espace. Und natürlich an den Formel-1-Titel für Jackie Stewart 1969 im Matra MS80 mit Ford-Cosworth-V8 sowie an die Le-Mans-Siege von 1972 bis 1974 des Matra MS670 mit hauseigenem V12.

Technische Daten
Matra Murena 1.6
Außenmaße4070 x 1752 x 1220 mm
Höchstgeschwindigkeit180 km/h
Die aktuelle Ausgabe
Motor Klassik 05 / 2024
Motor Klassik 05 / 2024

Erscheinungsdatum 11.04.2024

148 Seiten