Sunbeam Tiger ab 30.000 Euro
Anglo-Amerikaner mit dickem 4,3-Liter-V8

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Ein großvolumiger V8-Motor in einem knapp vier Meter langen, hübschen Roadster - das bietet nur der Sunbeam Tiger. Wie sein zur Ikone aufgestiegenes Vorbild AC Cobra erhielt der kompakte Brite sein starkes Herz von Carroll Shelby persönlich eingepflanzt. Die Serienproduktion von 1964 bis 1967 fand allerdings bei Jensen in Wolverhampton statt.

Sunbeam Tiger, Frontansicht
Foto: Hans-Dieter Seufert

Ach, ist der süß. Dieser dunkelblaue Sunbeam Tiger finden einfach alle nett. Man kann sagen, dass es vielleicht sogar die archaische Grundform aller hübschen Cabrio-Klassiker repräsentiert: Die neugierig aus den Kotflügeln hervorblickenden Scheinwerfer, die lässig-niedrige Gürtellinie ohne störende Kopfstützen oder Überrollbügel und dann diese dezenten, im Fahrtwind stehenden Heckflossen, die eine gewisse Frische und Unschuld suggerieren. Dazu reichlich Chrom und ausgewogene Proportionen. Sie ermöglichen einen großen Kofferraum und distanzieren den Sunbeam von seinen egomanisch veranlagten Konkurrenten MGB und Triumph TR4. Kurzum: Der Sunbeam hat einfach ein sonniges Gemüt.

Kenner entdecken bei unserem Foto-Sunbeam Tiger jedoch sofort die zeittypisch nachgerüsteten Minilite-Felgen mit 185er-Gummis und den Doppelrohrauspuff unter der Stoßstange. An den Flanken liest man, eingearbeitet in die Chromzierleiste, das Ehrfurcht gebietende Wort "Tiger". Und fast schon wie nächtens im indischen Dschungel läuft es dem vorgewarnten Sunbeam-Betrachter eiskalt den Rücken runter, wenn der Tiger-Fahrer hinter dem Lenkrad Platz genommen hat und den Motor startet.

Dem plötzlichen "Rooaaarrr" des Wachwerdens folgt ein hungriges V8-Dauerknurren. Beim Losfahren verwandelt sich der süße Sunbeam Tiger vollends in ein beutegieriges Raubtier, dessen unbändige Kraft problemlos zwei schwarze Streifen auf den Asphalt brennt.

Die Fahrleistungen des Sunbeam Tiger sind heute noch beeindruckend und galten 1965 als überaus sportlich: Von null auf 100 km/h in 8,8 Sekunden, Topspeed 192 km/h. Seine 164 SAE-PS, das sind etwa 150 DIN-PS, müssen nämlich vergleichsweise geringe 1145 Kilogramm an Fahrzeugmasse bewegen. Die brave Basisversion Sunbeam Alpine mit 1,6-Liter-Vierzylinder begnügt sich dagegen mit 82 PS, wiegt dafür auch nur knapp eine Tonne.

Der Tiger hetzt die Meute

Durch seinen 4,3-Liter-V8 mit Viergang-Schaltgetriebe katapultiert sich unser Sunbeam Tiger in die bereits gehobenere Sportwagenliga und lässt einen MGB mit 95 PS oder Triumph TR4 mit 104 PS weit hinter sich. Der hübsche Sunbeam kann es sogar mit einem gleich starken Austin-Healey oder Mercedes 230 SL aufnehmen. Auch die Konkurrenz durch seinen Halbbruder Ford Mustang, von dem der Tiger Motor, Getriebe und Hinterachse übernommen hat, muss der spurtstarke Brite nicht fürchten. Trotz 4,7-Liter-V8 mit 190 PS kann der deutlich größere und über 200 kg schwerere Ami einem wild gewordenen Tiger nicht entkommen.

Doch nicht nur das reine Spurtvermögen, sondern vielmehr die stressfreie Art, wie der Sunbeam Tiger seine PS abliefert, wecken beim Fahren wahre Begeisterungsstürme. Das geht schon los beim bequemen Einsteigen. Anders als bei MGB und Co. ist die Sitzposition höher, und die Türen sind deutlich länger. Nur das Lenkrad könnte weiter oben positioniert sein – sonst sitzt man fast perfekt in den gut gepolsterten Sitzen mit ihren sportlich geformten Rückenlehnen.

Sunbeam Tiger führt zu lässig-überlegenem Fahrstil

Wie in der Vierzylinder-Alpine informiert im Sunbeam Tiger eine üppig sortierte, im echten Holzarmaturenbrett eingelassene Instrumentensammlung den Fahrer über Tempo, Kurbelwellendrehzahl und Befinden der V8-Maschine. Die muss im normalen Fahrbetrieb eigentlich nie mehr als 2.500/min absolvieren. Man kann schon bei etwa 80 km/h den vierten Gang einlegen und hat dann bis 190 km/h fast nichts mehr zu tun.

Auch die exakt arbeitende Zahnstangenlenkung, die nur im Sunbeam Tiger zum Einsatz kommt, führt zu einem lässig-überlegenen Fahrstil, der Cabrio-Fahren zu einem unvergleichlichen Vergnügen macht. Dazu das sanfte Grollen aus den Doppelrohren – einfach großartig.

Ab 1967 gibt es ein Hubraum-Plus und 190 PS

Dass man relativ häufig vor allem bei Rallyes martialisch mit Überrollbügel aufgerüstete und fast bis auf die Auspufftöpfe tiefergelegte Sport-Tiger zu Gesicht bekommt, hängt natürlich mit dem bereits ab Werk sehr günstigen Leistungsgewicht zusammen. Außerdem gönnte Sunbeam ab 1967 dem Tiger den größeren V8 mit 4,7 Litern Hubraum und 190 PS. Damit konnte man sogar – zumindest bis zum Topspeed von knapp 200 km/h – schon mal einen E-Type oder eine Corvette ärgern. Leistungssteigerungen bis 250 PS realisierten Sportfahrer mit preisgünstigen Tuning-Teilen.

Allerdings war die letzte, nur in den USA erhältliche Sunbeam Tiger-Version mit 3.842 US-Dollar über 1.000 Dollar teurer als ein vergleichbarer Ford Mustang, weshalb vom 4,7-Liter-Tiger nur 633 Stück entstanden sind. Er gilt deshalb heute unter Kennern als die wertvollste Variante – wenn es kein nachträglicher Umbau ist!

Vorbild für das Gemeinschaftswerk waren eindeutig AC Cobra und TVR Griffith 200: Zwei britische Sportwagen, denen 1962 beziehungsweise 1963 ebenfalls ein Ford-V8 Flügel verliehen hat. Sunbeam wollte vor allem für die 1964 eingeführte Serie IV ein PS-starkes Zugpferd. Bis 1963 zierten nämlich das Alpine-Cabrio die deutlich größeren Heckflossen der 1959er-Urversion. Mit der moderner gestylten Optik der Serie IV sollte das Cabrio in seinen zweiten Lebenszyklus starten - auf Wunsch mit einem V8 unter der kurzen Motorhaube.

Mr. Rootes geht auf Probefahrt - und ist begeistert

Sunbeam beauftragte Carroll Shelby mit dem Bau eines Prototyps, der im April 1963 nach England verschifft wurde. Ein zweiter Prototyp mit Zweigangautomatik entstand bei dem ehemaligen Shelby-Mitarbeiter Ken Miles, blieb jedoch in den Staaten. Sunbeam-Eigner William Rootes, zu dessen Firmenkonsortium noch die Pkw- und Lkw-Marken Hillman, Humber, Singer, Talbot, Commer und Karrier gehörten, machte 1963 im Tiger eine Premierenfahrt und zeigte sich begeistert.

Serienfertigung bei Jensen

Der Sunbeam-Chef soll daraufhin persönlich bei Henry Ford II 3.000 Windsor-V8 mit 4,3 Litern Hubraum bestellt haben, die in verschiedenen kompakten Ford-Modellen, anfangs auch im Mustang, zum Einsatz kamen. Für den Einbau in das nur vier Meter lange Alpine-Cabrio musste jedoch die Spritzwand einige Zentimeter nach hinten versetzt und der Getriebetunnel vergrößert werden. Den Auftrag für die Serienfertigung erhielt die britische Firma Jensen.

Heute ist der fahraktive Sunbeam Tiger ein relativ teures Cabrio, zählt aber trotzdem unter Kennern zu den begehrtesten und faszinierendsten Cabrios aus England. Und richtig süß aussehen tut der oft unterschätzte Kleine auch noch.

So viel kostet ein Sunbeam Tiger

Es ist nicht günstig, einen besonderen Geschmack zu haben - das gilt auch beim Sunbeam Tiger. Von dem zwischen 1946 und 1967 nur 6.450 Mal gebauten Roadster (plus 633 mit 4,7-Liter-Motor) sind nicht mehr viele übrig. So verwundert der von Classic-Analytics angegebene 50.000 Euro für ein Zustand-2-Exemplar kaum. Ab etwa 16.000 Euro bekommt man Zustand-4-Tiger.

Fazit

Der Sunbeam Tiger ist die wohl charmanteste Art, fast unbemerkt ein V8-Cabrio zu bewegen - wenn es der Besitzer mit dem Auspuff-Sound nicht übertreibt. Leider sind die raren Tiger inzwischen nicht mehr ganz billig. Man kann aber auf den nicht minder exotischen Alpine zurückgreifen, dessen Vierzylinder mit zuletzt 93 PS munter zur Sache geht.

Technische Daten
Sunbeam Tiger Mk I
Außenmaße3960 x 1540 x 1310 mm
Höchstgeschwindigkeit190 km/h
Die aktuelle Ausgabe
Motor Klassik 06 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten