Mercedes 190 SL und 190 SLR
Sportlicher Bruder des 190 SL

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Im ersten Prospekt über den 190 SL wurde ein kleiner, leichter Silberpfeil gezeigt, der aber nie in Serie ging. Wir feiern 60 Jahre 190 SL und es gibt ein Wiedersehen mit dem verlorenen Bruder 190 SLR.

Mercedes 190 SL und 190 SLR, Fronansicht
Foto: Karl-Heinz Augustin

So ganz vorurteilsfrei begegnet ihm keiner. Der Mercedes 190 SL sei kein echter Sportwagen, heißt es oft, dazu habe er zu wenig Leistung, und seine brave Ponton-Technik könne das Feuer der Leidenschaft auch nicht so richtig entfachen. Der hübsch gestylte Roadster galt in seiner Blütezeit als Idealbesetzung in Heimatfilmen und als Requisit für Mode-Journale. Sein Glamour mit femininem Einschlag machte ihn zum begehrenswerten Idol der Wirtschaftswunder-Ära.

Das attraktive Design des Mercedes 190 SL stammt unübersehbar vom großen Bruder 300 SL ab, er ist ihm vorne buchstäblich aus dem Gesicht geschnitten. Auch die herrlichen Instrumente verraten in Stil und Größe das Vorbild. Die Mercedes-Stylisten Friedrich Geiger und Hermann Ahrens prägten das typische SL-Design der 50er-Jahre mit der ausdrucksstarken Frontpartie, den charakteristischen Lanzetten über den Radläufen und dem sanft abfallenden Heck.

Rückleuchten des Ponton-Mercedes

Für den Mercedes 190 SL zeichnet Walter Häcker verantwortlich, dessen Idee es auch war, die Rückleuchten der Ponton-Limousine harmonisch zu integrieren. Ursprünglich sollte es den kleinen SL gar nicht geben, geplant war ein Cabriolet auf Basis des Mercedes 180. Aber Maximilian Hoffman, der einflussreiche US-Importeur der großen deutschen Marken Mercedes-Benz, BMW und Porsche, wollte den Glanz der Rennsport-Ikone Flügeltürer auf einen kleinen, nur halb so teuren Roadster übertragen.

Der sollte in Preis und Leistung eine Alternative zu den knorrigen Briten sein und wie diese auf einer Großserien-Plattform mit vielen Gleichteilen entstehen. Ein Konzept, dem die Daimler-Oberen sofort zustimmten. Der kurze, offene Typ 180 wurde fallen gelassen, der Radstand von 2,40 Metern blieb. Hoffman wünschte sich aber neben dem glamourösen Mercedes 190 SL eine zweite, betont sportliche Variante mit Brooklands-Scheiben, ohne Verdeck und Stoßstangen. Eine Art Speedster von Mercedes eben.

SLR-Version für Privatfahrer bei Berg- und Rundstreckenrennen

Sie sollte Privatfahrern die Möglichkeit geben, an den damals populären Berg- und Rundstreckenrennen teilzunehmen. Der 190 SLR blitzte jedoch nur kurz im Prospekt auf, zwei Prototypen wurden im Werk gebaut und später verschrottet. Auf Eigeninitiative von Privatfahrern entstanden etwa 17 Exemplare inoffizieller 190 SLR.

Es waren Serien-SL, die nachträglich von der Firma Mayer in Saarlouis umgebaut und fahrwerksseitig optimiert wurden. Das geglättete Design mit dem markanten Überrollbügel erinnert an den großen, 235 PS starken Bruder Mercedes 300 SLS, mit dem Paul O'Shea 1957 bei Sportwagenrennen in den USA an den Start ging.

Das meiste aus dem Baukasten

Der Serien-Mercedes 190 SL, intern W121 genannt, war immerhin Vorreiter einer neuen Generation von Vierzylindermotoren mit obenliegender Nockenwelle, von denen später auch die Diesel abgeleitet wurden. Mit zwei Vergasern und für damalige Verhältnisse hoher Verdichtung brachte es der Roadster auf beachtliche 105 PS. Der Motor war vom OHC-Sechszylinder M180 aus dem Typ 220 abgeleitet, wie die identischen Maße für Bohrung und Hub verraten. Beim Fahrwerk des 190 SL setzte man auf die vorbildlich steife Ponton-Plattform mit Fahrschemel und Doppelquerlenkerachse, hinten kam bereits die neue Eingelenk-Pendelachse mit tief liegendem Drehpunkt zum Einsatz.

Sie verbessert die Fahrsicherheit im Grenzbereich erheblich und bietet einen weit höheren Fahrkomfort als die Starrachser der britischen und italienischen Open-Air-Konkurrenz. Lässt man sich ganz vorurteilsfrei im Serien-190-SL nieder und damit auch auf ihn ein, so macht schon der Blick auf die Instrumententafel Freude, alles wirkt aus dem Vollen gefräst und auf lackiertem Blech hübsch arrangiert. Sechs fein gezeichnete Instrumente inklusive Zeituhr werden von griffigen Dreh- und Zugschaltern umrahmt.

Optimierte Eingelenk-Hinterachse verbessert die Straßenlage

Das geschmeidige rote Leder passt wunderbar zur DB-Farbe 180 Silbergrau-Metallic unseres Mercedes 190 SL. Man sitzt gut im breiten Sessel vor dem großen Lenkrad. Gestartet wird sportlich per Startknopf. Das Vierganggetriebe lässt sich leicht und einigermaßen exakt schalten. Die Bedienkräfte für Kupplung und Bremse sind gering. Einzig die Lenkung erfordert beim Rangieren kräftiges Zupacken, bei schneller Fahrt wünscht man sie sich ein wenig direkter.

Der Mercedes 190 SL zeigt auch auf schlechten Straßen kaum Verwindungen, stets hat man den Eindruck eines gediegenen Qualitätsautos, das beginnt schon beim Schließen der Fahrertür. Überzeugend ist auch der Federungskomfort, kein Stuckern, kein Versetzen, nur ein sanftes Abrollen der kleinen 13-Zöller. Auch die Straßenlage überzeugt, die optimierte Eingelenk-Pendelachse erlaubt einen sanfteren Wechsel zum Übersteuern, der Normalfahrer wird diesen kritischen Moment nie erleben.

Der SL-Motor ist kein Glanzstück

Schon in den damaligen Tests wurde der nur dreifach gelagerte Vierzylinder des Mercedes 190 SL als rauer Geselle gescholten. Sicher ist die wenig ausgeprägte Laufkultur auch seiner damals beachtlichen spezifischen Leistung von 55 PS pro Liter geschuldet. Dafür fühlt sich der Wagen sehr temperamentvoll an, er dreht willig aus dem Drehzahlkeller hoch, über 4.000/min entfacht der M121, der ohne Querstrom-Zylinderkopf auskommen muss, erst sein wahres Feuer, wird dann aber arg laut.

Der Motor hält nicht, was die Karosserieform verspricht, aber man kann heute gut damit leben. Dem Erfolg tat das Aggregat kaum Abbruch, vom 190 SL wurden in acht Jahren 25 881 Stück verkauft, 70 Prozent in die USA.

Umstieg auf die Sportversion

Der Umstieg in die spartanische Rennsportversion Mercedes 190 SLR beginnt mit dem Anlegeritual der Hosenträgergurte. Gestartet wird kurioserweise ganz unsportlich per Schlüssel. Mit kernigem Auspuffklang erwacht der großkolbige, doppelt webergefütterte Vierzylinder zu unerwarteter Lebensgier. Die Schalldämpfung wurde wie alles andere auf das Nötigste reduziert.

Der gestrippte Mercedes 190 SLR fühlt sich so kompromisslos offen an wie eine Barchetta, eng liegen die beiden kunstlederbezogenen Schalensitze an, festes Zupacken erleichtert das Nardi-Holzlenkrad mit dickem Kranz, leider wird jetzt ganz banal geblinkt wie immer und nicht so schön theatralisch mit dem Hupring. Kupplung und Bremse erfordern beim Renn-190-SL mehr Kraft, der Ate-Servo wurde gleich weggelassen, genauso wie der Wärmetauscher. Sportlich hochtourig gefahren strahlt der Vierzylinder viel Hitze ab. Hinter den winzigen Brooklands-Gläsern sitzt man fast im Freien, der Fahrtwind rauscht kräftig durchs Haar.

Leider nur eine kurze Karriere

Die Lenkung des Mercedes 190 SLR ist zwar noch schwergängiger bei geringem Tempo, aber viel direkter, der Geradeauslauf besser als beim verzärtelten Boulevard-Bruder. Auf 90 Grad ist inzwischen das Ölthermometer gestiegen, das Startzeichen für einen forcierten Ritt. Kurvenreiche Landstraßen laden zum Räubern mit dem SLR ein, die Schaltdrehzahl liegt erst einmal bei 4.000 Umdrehungen, der 2,3-Liter-Motor mit geschätzten 140 PS legt sich mächtig ins Zeug, bald steigt die Schaltgrenze auf stürmische 5.500 Touren, und dann geht es mächtig ab, akustisch wie dynamisch. Nur ein Fünfganggetriebe fehlt dringend auf der Wunschliste, ebenso wie eine Hebelhandbremse auf dem Mitteltunnel.

Der kernige Vierzylinder, ein optimiertes Austauschtriebwerk aus einem frühen W123, Typ 230 und konstruktiv in direkter Linie mit dem Uraggregat-M-121 des Boulevard- Bruders verwandt, liefert die gesunde Portion Mehrleistung, die man im Serien- 190-SL vermisst. Auch seine Elastizität ist beachtlich, schon ab 2.000/min macht der Miniatur-Silberpfeil mächtig Druck. Angereichert wird diese höhere Sphäre der Fahrfreude durch das verbesserte Fahrwerk mit verkürzten Federn und negativem Sturz an der Hinterachse. Außerdem wuchs die Spurweite dank üppiger Sechs-Zoll-Felgen. Ohne gänzlich an Fahrkomfort verloren zu haben, liegt der SLR selbst in schnell gefahrenen Kurven wunderbar neutral.

Klassisches Tuning verbessert des 190 SL enorm

Der Mercedes 190 SLR zeigt beispielhaft, dass klassisches Tuning eine gute Basis eindrucksvoll verbessern kann. Er ist weder zu laut noch zu hart noch zu zickig. Damals konnte der 190 SLR nicht brillieren, weil er entweder in der GT-Klasse oder in der Kategorie Seriensportwagen starten musste. In beiden war er den Maserati, Ferrari, Jaguar und natürlich dem 300 SL klar unterlegen.

Nur beim Grand Prix von Macao gelang Doug Steane 1958 mit dem Mercedes 190 SLR ein Achtungserfolg als Klassensieger. Bei deutschen Rallyes tauchte immer wieder ein 190 SLR unter den ersten zehn auf, aber das reichte nicht, um seinen Ruf zu festigen.

So viel kostet ein Mercedes 190 SL

Die Preisentwicklung des großen Bruders 300 SL beflügelte auch die des Mercedes 190 SL. Aktuell gibt Classic-Analytics für ein Zustand-2-Exemplar rund 109.000 Euro an, im mäßigen Zustand sind immerhin rund 36.000 Euro fällig.

Fazit

Ich bin Cruiser, kein Racer, deshalb würde ich den harmonischen Serienwagen vorziehen. Aber: Der Mercedes 190 SLR überrascht mich, er ist kein Pseudo-Rennwagen, sondern die Antwort auf die 190-SL-Kritiker. Denn jetzt hat der Boulevard-Flaneur auf einmal Dampf und Drehmoment, liegt bestens und macht richtig Spaß.

Technische Daten
Mercedes 190 SLR Mercedes 190 SL
Außenmaße3995 x 1740 x 1115 mm4220 x 1740 x 1320 mm
Höchstgeschwindigkeit190 km/h170 km/h
Die aktuelle Ausgabe
Motor Klassik 05 / 2024
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Erscheinungsdatum 11.04.2024

148 Seiten