Kommentar zum VW-Abgasskandal
Krimi ohne Leiche, aber mit lebenslänglich

VW hat betrogen. Aber die Folgen sind längst nicht so groß, wie der Skandal – und vor allem die Strafen, die weder Umwelt noch Gesellschaft nützen. Wer wirklich schuld und was jetzt tun ist.

VW USA TDI
Foto: VW

VW hat im Abgasskandal unfassbar kriminell gehandelt und steht jetzt vor dem Scherbenhaufen dessen, was mal „Das Auto“ war. Der Konzern ist, wenn aus den Strafandrohungen echte Strafforderungen werden sollten, vielleicht sogar in seiner Existenz bedroht. Das Ganze ist längst ein Wirtschaftskrimi. Und wie im Fernsehen ist es Zeit für die klassische Ermittlerfrage: Was haben wir?

Zunächst mal einen Weltkonzern, der sich mit bewundernswerter Konsequenz auf den Weg machte, zum größten Autohersteller der Welt zu werden. Mittendrin 600.000 Angestellte, von denen weniger als ein Promille mit unerklärlicher krimineller Energie vorging und sich dabei auch noch mehr als ungeschickt anstellte: Die Verantwortlichen manipulierten nicht nur über Jahre die Motorsoftware von Dieselfahrzeugen, um Abgastests zu bestehen, sie reagierten auch nicht, als sie ertappt wurden. Das Motiv dürfte den Ermittlern noch lange verborgen bleiben.

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Immerhin: Die ranghöchsten der mindestens nominell Verantwortlichen sind ihres Amtes enthoben. Aber wie immer liegt der Fall komplizierter und kann damit längst nicht zu den Akten gelegt werden. Nicht nur, weil die eigentliche Strafverfolgung der Übeltäter noch aussteht.

Der Unterschied zwischen Betrug und gesetzeskonform ist in Europa gering

Denn was war eigentlich die Folge des Betrugs? Die Modelle mit Betrugssoftware an Bord bestanden gesetzlich vorgeschriebene Abgastests, wiesen aber im Fahrbetrieb bis zu 40-fach höherer Werte aus. Ein Skandal? Nicht wirklich. Denn just am Freitag, den 25. September, konnte man in einer Pressemitteilung des ADAC erneut nachlesen, was schon lange bekannt ist: Modelle nahezu aller Hersteller überschreiten die gesetzlichen Grenzwerte für den NOx-Ausstoß in einem praxisnäheren Test deutlich - im schlimmsten Fall um das 16-fache. Stellt man in Rechnung, dass die Grenzwerte in den USA doppelt so streng und der Test der University of Virginia ebenfalls härter war, fehlt vom 16-Fachen zum 40-Fachen nicht mehr viel. Gleichzeitig listet der ADAC als bestes der am wenigen schlechten Modelle einen - jawoll: VW.

Warum also haben die Betrüger bei VW überhaupt betrogen? Zunächst sind die US-Grenzwerte eben nahezu doppelt so streng und damit nur durch teure Technik oder mit Kompromissen bei Leistung und Effizienz zu erreichen. Dass es dennoch grundsätzlich möglich ist, zeigte ein gleichzeitig getesteter, zugegeben größerer und teurerer BMW X5.

Die Abgast-Tests in Europa sind das Problem, die Politik muss zum TÜV

Zum anderen aber, und das scheint entscheidend, sind deutsche Unternehmen quasi auf zwei Entwicklungsziele sozialisiert: Erstens, die Tests zu bestehen und zweitens, toll auf der Straße zu fahren. Der inzwischen 18 Jahre alte Zulassungstest in Europa misst nicht in Ansätzen das, was Autos auf der Straße an Emissionen ausstoßen (Alle Fragen zum VW-Abgasskandal). Weil das schwer zu glauben ist, kommen jetzt alle Autohersteller in den Verdacht, Schummelsoftware zu verwenden.

Aber es ist eben so: Weil das Gaspedal während des Prüfstandstests in Europa nur gestreichelt wird, können Autohersteller ihre Motoren so entwickeln, dass sie den Test auch ohne Schummelsoftware bestehen. Das mag ethisch bedenklich sein, illegal ist es nicht.

In den USA geht das nicht so einfach - weil der Test besser ist. Drum ist es aber gar nicht so unglaubhaft, dass jetzt alle Hersteller den Gebrauch solcher Software von sich weisen, zumindest für Europa. Und in den USA , dem Land der strengeren und besseren Tests, gibt es nicht viele, die Diesel verkaufen.

Was also lernen wir aus dem Fall, außer dass ein Hersteller betrogen hat, jetzt am Pranger steht und damit vor allem die eigene Belegschaft bestraft?

Strafe für VW und eine Ohrfeige für die Politik

Punkt eins ist so trivial wie schwierig: Die Verantwortlichen bei VW müssen identifiziert und bestraft werden. Sie haben vorsätzlich Gesetzte umgangen, das ist schlicht kriminell.

Punkt zwei liegt auf der Hand und ist eher einfach: Wir brauchen Tests, die messen, was unsere Autos vor allem in den Städten in die Luft blasen. Dort nahm schließlich der ganze Skandal seinen Ausgang: Immer mehr Diesel sorgten für immer schlechtere Luft, obwohl die Grenzwerte immer weiter verschärft wurden.

Punkt drei ist besonders schwierig: Es braucht den Willen der Politik, die Autoindustrie zu fordern. In der Folge würde sich sehr schnell herausstellen, dass dies die beste Förderung wäre. Saubere Autos braucht die ganze Welt, Schummeln Made in Germany kein Mensch.

USA - Umweltpolizist mit Eigeninteressen und Dreck am Stecken

Punkt vier bringt uns nichts, nur den Amerikanern, wird aber wohl passieren: VW stehen so harte Strafen und Schadensersatzforderungen ins Haus, dass der Konzern in ein paar Jahren nur mehr der Schatten seiner jetzigen kraftstrotzenden Größe sein wird. Den Ambitionen der US-Unternehmen Google und Apple auf dem Automarkt dürfte das nicht schaden, das staatlich enorm geförderte US-Unternehmen Tesla hat bei der Entwicklung des E-Autos einen Gegner weniger und kann seinen Entwicklungsvorsprung leichter verteidigen.

Weil sich der Drehbuchautor unseres Fernsehkrimis angesichts der komplizierten Story in die Sackgasse schrieb, gleitet der Abspann in die Satire ab. Da steht: „Als Folge des VW-Abgasskandals werden spritschluckende Pick-Up-Trucks in den USA genauso verboten wie Fracking, die USA werden von einem der größten CO2-Emittenten der Welt zum Treiber einer weltweiten Umweltbewegung, die Lkw als große NOx-Sünder fahren in USA nur noch elektrisch. Martin Winterkorn beantragt nach einem Prozessmarathon im Januar 2017 Hartz IV. ENDE“.