VWs Baukastenstrategie (MQB)
Neuer Passat, alte Plattform

Die Investitionen für Elektroautos, Assistenz- und Infotainmentsysteme zwingen VW zum Umdenken: Komplett neuentwickelte Plattformen für Verbrenner-Autos lohnen sich nicht mehr. Aktuelles Beispiel: der Passat. Dessen Nachfolger (B9) bleibt 2021 auf der MQB-Basis das aktuellen Modells (B8).

VW Passat / Arteon
Foto: Hersteller / ams

Grundsätzlich wird in der Autoindustrie bei jeder Neuentwicklung mit spitzem Bleistift gerechnet: Wie hoch sind die Investitionen, wie groß die zu erwartenden Stückzahlen und die möglichen Erträge pro verkauftem Auto? Neuerdings muss außerdem einkalkuliert werden, wie viel Strafzahlungen womöglich für Varianten mit zu hohem CO2-Ausstoß fällig werden. Gleichzeitig finden die größten Innovationen inzwischen unter dem Blech statt, während die Entwicklungs- und Werkzeugkosten für neue Karosserien und Bodengruppen besonders teuer sind.

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Was ist ein Baukasten, was eine Plattform?

Volkswagen hat gerade deshalb schon 2012 mit dem Golf VII den Modularen Querbaukasten (MQB) eingeführt. Diese Architektur löste die Plattformbauweise ab. Bei der unterscheiden sich Modelle mit gleicher Plattform im Wesentlichen durch den Karosserie-Hut, sprich die (sichtbaren) Außenbleche der Karosserie. Die meisten Module (Antriebstrang, Achsen, Infotainmentsystem) des MQB hingegen können verschiedenste Modelle nutzen, denen nur wenige Eckdaten gemeinsam sind – beim MQB im Wesentlichen der Abstand zwischen Spritzwand und Radmitte. Ziel des MQB: (Karosserie)-Entwicklungskosten sparen. Denn für die Entwicklung eines eigenständigen Modells veranschlagt die Autoindustrie grob eine Milliarde Euro. Die Entwicklung eines neuen MQB-Modells hingegen soll bis zu 30 Prozent billiger sein. Bei den vielen verschiedenen Modellen des Konzerns kommt da einiges an Ersparnis zusammen – heute sind 80 Prozent der mehr als 10 Millionen Autos des Konzerns vom Audi A1 bis zum VW Atlas MQB-Autos.

Noch mehr sparen lässt sich allerdings auch bei Baukasten-Autos, wenn zwei Modelle auf der gleichen Plattform (sprich Bodengruppe) stehen, am besten mit gleichen Türausschnitten, Innenblechen und Radstand. Wenn sich MQB-Autos nur noch bei den Karosserie-Außenblechen und damit beim Design unterscheiden, können die Entwicklungskosten bestenfalls um bis zu 90 Prozent sinken. Das gilt natürlich auch für „Verwandte“ verschiedener Konzernmarken, etwa das Trio VW Golf, Seat Leon und Audi A3.

Golf 8 mit gleicher Plattform wie Golf 7

Diese Kostenreduktion nutzt Volkswagen künftig verstärkt auch für den Generationswechsel – mit Ansage: Schon bei der Vorstellung des MQB 2012 kündigte VW an, dass die Plattform des Golf für zwei Generationen genutzt werden soll. Dementsprechend wird der neue Golf VIII exakt den gleichen Radstand von 2,63 Metern haben wie Generation 7. Die Übernahme der Plattform des Golf VII gilt dann auch für die Nachfolgemodelle der Konzerngeschwister Seat Leon und Audi A3.

Variationen der MQB-Plattformen bei den o.g. Kriterien sind möglich, kosten in Abstufungen wieder mehr und wollen in Relation zu Stückzahl und potenziellen Ertrag gesetzt werden. So ist beispielsweise der Arteon viel mehr als ein Passat Coupé und im Vergleich zur verwandten Mittelklasse-Limousine deutlich eigenständiger als beispielsweise der Audi A3 im Vergleich zum VW Golf. Der Arteon ist nicht nur gut zehn Zentimeter länger als der Passat, sondern hat auch gut fünf Zentimeter mehr Radstand sowie eine große Heckklappe, was erhebliche Änderungen der Karosseriestruktur erfordert und sich entsprechend beim Preis niederschlägt: Im Schnitt ist ein Arteon bei gleicher Motorisierung rund 6000 Euro teurer als ein Passat.

Beim Blech sparen bringt Geld für Innovationen unterm Blech

Die Einsparungen sind kein Selbstzweck eines geizigen Unternehmens auf der Suche nach mehr Rendite und die Investitionen in die Elektromobilität sind nicht der einzige Grund, warum VW versucht, den Aufwand für die Entwicklung neuer Modelle auf der Blechseite zu reduzieren. Es ist vielmehr so, dass die meisten und teuersten Innovationen inzwischen unter dem Blech stattfinden und große Teile des Entwicklungsbudget verschlingen. Allein die Elektronik für Assistenzsysteme und Infotainment- bzw. Connectivity-Funktionen erfordert immer mehr Kapazität. So ist beispielsweise die Rechnerleistung im Golf 8 zehnmal größer als im Golf 7.

Wichtiges des technischen Innenlebens modernisiert VW ohnehin laufend, teils sogar ohne Facelift, wie etwa Updates für das Infotainmentsystem, das konzernweit inzwischen schon in dritter Generation ebenfalls als Baukasten (MIB III) zum Einsatz kommt. Auch die Weiterentwicklung von Antriebsvarianten ist weitgehend von Modellzyklen entkoppelt, weil die im ganzen MQB zum Einsatz kommen. So folgt die Anpassung an neue Abgasnormen keinem Modellfahrplan, sondern den Stichtagen gesetzlicher Vorgaben. Die Abgasnorm Euro 6d wird VW beispielsweise mit dem so genannten Twindosing zuerst für Passat und Golf 8 erfüllen. Dabei sorgt ein zweiter SCR-Kat für bis zu 80 Prozent weniger NOx-Emissionen, als der aktuelle Grenzwert erlaubt.

Weniger Investionen in Verbrenner wegen CO2-Limit

Wegen des 95-Gramm-Limits der EU ab 2020 immer wichtiger werden die CO2-Emissionen. Mittelklasseautos wie der Passat liegen typischerweise deutlich über dem Limit von 95 g/km, eher bei 120 bis 140 g/km. Investitionen in neue Modelle solcher Dimensionen müssen also auch potenzielle Strafzahlungen einspielen bzw. erfordern an anderer Stelle Investitionen in Modelle mit besonders niedrigem CO2-Ausstoß. Der neue Hybridantrieb mit mehr als 13 kWh Batteriekapazität ist eine davon, die aber eben nicht nur im Passat zum Einsatz kommt. Und letztlich muss VW darauf hoffen, dass sich möglichst viele Kunden in der Mittelklasse künftig für ein Elektro-Auto entscheiden, dessen CO2-Emissionen beim Flottenverbrauch mit 0g/km berücksichtigt werden.

Das passende Modell, die Serienversion des ID. Vizzion (vermutlich ID.5) dürfte schon zu kaufen sein, wenn die neue Passat-Generation anrollt. Die Stufenheck-Form (auch eine Kombiversion ist geplant) hat zudem den Vorteil, dass sie leichter einen besonders guten cW-Wert erreicht. Der Wiederum zahlt auf den Verbrauch ein – was beim E-Auto eine entsprechend größere Reichweite bedeutet. Die mit einer größeren Batteriekapazität darzustellen, ist erheblich teurer.

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Passat B9 mit B8-Plattform?

Für einen Passat-Nachfolger bedeutet das, dass sein Generationswechsel die Plattform mit hoher Wahrscheinlichkeit wie beim Golf 8 unangetastet lässt, das neue Modell gegenüber der Generation B8 äußerlich vielleicht sogar noch weniger verändert wird. Die dabei eingesparten Investitionen steckt VW besser in Elektrifizierung und Elektronik, die auch für andere Modelle Verwendung finden. Dass die neue Passat-Limousine eine coupéhaftere Form und dafür einen längeren Radstand bekommen soll, muss dennoch nicht falsch sein: VW hat ja ohnehin die Arteon-Plattform mit mehr Radstand (und coupéhafterer Linie). Das könnte aber in Europa eher bedeuten, dass dort die wenig gefragte Mittelklasse-Limousine ganz entfällt bzw. vom Arteon ersetzt wird und der Variant mit dem (alten) kürzeren Radstand ein umfangreiches Facelift zum Passat B9 erhält. Ähnlich macht es beispielsweise Mazda beim 6, wo der Kombi weniger Radstand hat als die Limousine, die ihren Hauptabsatzmarkt in den USA hat, wo Länge läuft.

Der US-Passat ist übrigens auch aktuell gut zehn Zentimeter länger als das Europa-Modell, sein Radstand rund zwei Zentimeter größer. Aber der in Chattanooga vom Band laufende „New Midsize Sedan“ ist gar kein MQB-Auto. Er steht noch auf der PQ47-Plattform – bei rund 50.000 Fahrzeugen im Jahr hat sich die Umstellung auf MQB nicht gelohnt. Anders in China: Dort entstehen MQB-Passat – mit 2,8 Zentimeter längerem Radstand als in Europa. Ein Blick auf die Stückzahlen macht klar, warum sich die Sonderlocke dort rechnet: 400.000 bis 500.000 Autos finden pro Jahr in China einen Käufer. Einen Stufenheck-Passat aus China importieren wäre aber zu teuer – zumal die Stufenheck-Limousine wie erwähnt hierzulande viel weniger gefragt ist als der Kombi. Damit gibt es für Deutschland mit Passat und Arteon Modelle in zwei Radständen und jeweils zwei Karosserieformen: Denn 2020 soll mit dem Facelift des Arteon dessen Shooting Brake Version debütieren, die nach dem Generationswechsel des Arteon (etwa 2024) sicher im Programm bleibt.

Fazit

Der MQB gibt Volkswagen maximale Flexibilität, über Marken hinweg viele Modelle und Varianten zu bauen. Der Aufwand für die Entwicklung neuer Modelle sinkt dadurch blechseitig deutlich bis enorm – je nachdem, wie umfangreich sich ein Modell vom verwandten Ausgangsprodukt unterscheiden soll. Der neue Passat dürfte zum eigentlich 2021 fälligen Modellwechsel karosserieseitig wie der Golf 8 eher ein umfangreiches Facelift bekommen. Variationen beim Radstand sind dank des Arteon kostengünstig denkbar, bei der Limousine in Europa aber vielleicht eher kontraproduktiv: Irgendwann passt das Mittelklasse-Auto nicht mehr in die Normgarage.

Das gesparte Geld wird VW wie schon beim gerade gelaufenen Facelift in Technik unterm Blech stecken – und hoffen, dass die Elektro-Alternative Vizzion schnell ins Laufen kommen.