Trainingsanalyse GP Italien 2023
Kann Ferrari sein Heimspiel gewinnen?

GP Italien 2023

Die Tifosi durften am Trainingsfreitag von Monza feiern. Ferrari führt an allen Fronten. Auf Soft-Reifen, auf dem Medium-Gummi, sogar im Longrun. In der Analyse verraten wir Ihnen, wie viel die Bestzeit wert ist.

Carlos Sainz & Charles Leclerc - Ferrari - GP Italien 2023
Foto: Wilhelm

Vor 35 Jahren war Ferrari schon einmal Spielverderber. Als Ayrton Senna in der vorletzten Runde über den Williams von Jean-Louis Schlesser stolperte und damit die goldene McLaren-Serie zu Ende ging, feierte Ferrari einen Doppelsieg. Und dieses Jahr sieht es so aus, als könnten die roten Autos die größten Gegner von Max Verstappen und Red Bull werden.

Der Weltmeister war mit dem ersten Trainingstag nicht ganz zufrieden. Doch in der Regel finden Ingenieure und Fahrer bei Red Bull bis Samstag noch die Lösung. Verstappen klagte über eine Spur zu viel Übersteuern. Sergio Perez fühlte sich trotz eines Ausrutschers in der Parabolica in seinem Auto wohler, was sich auch in der besseren Rennsimulation für den Mexikaner auswirkte.

Unsere Highlights

Mercedes verlor im zweiten Training den Faden. Die Fahrer waren wie schon so oft in dieser Saison mit unterschiedlich viel Abtrieb unterwegs. Mehr für Hamilton, weniger für Russell. Der Russell-Weg erwies sich als der bessere. McLaren machte einen starken Eindruck auf eine Runde, muss im Longrun aber noch zulegen.

Aston Martin verlor wegen eines Problems mit der Benzinversorgung ein Auto und hinkt seinem Programm hinterher. Der 8. Platz von Fernando Alonso macht Chefingenieur Tom Cullough nicht nervös. "Wir sind unsere schnellste Runde früher als die anderen gefahren, haben uns aber im Verlauf des Tages stetig steigern können. Trotzdem gibt es noch Verbesserungspotenzial. Das Auto ist noch zu unruhig über die Randsteine."

Williams könnte einigen Teams in der Spitzengruppe die Party verderben. Alexander Albon war auf Medium-Gummis schneller als Aston Martin und Mercedes auf Soft-Reifen. Und der Williams hat im Moment noch den höchsten Topspeed.

Carlos Sainz & Charles Leclerc - Ferrari - GP Italien 2023
Wilhelm

Ferrari hinterließ einen starken Eindruck. Aber Red Bull muss man weiter auf der Rechnung haben.

Sechs Dinge, die Sie wissen müssen...

Showrunden oder echter Speed bei Ferrari?

Das hat den Tifosi gefallen. Auf Medium-Reifen führte Ferrari die Reihenfolge im Doppelpack an. Carlos Sainz und Charles Leclerc waren auf Pirellis mittlerer Reifenmischung eine halbe Sekunde schneller als die Konkurrenz. Auf den Soft-Gummis war es knapper. Wieder bestimmte Sainz das Tempo, allerdings nur 19 Tausendstel vor Lando Norris und knapp zwei Zehntel besser als Sergio Perez.

Die Ferrari kamen mit dem besten Setup in Monza an. Es passte von der ersten Runde. Nicht das schnellste Auto auf den Geraden, aber schnell genug, das Defizit in den Kurven zu kompensieren. Mit einem Top-Speed von 344 km/h lagen die roten Autos 3 km/h hinter Williams aber 4 km/h vor Red Bull.

Die Longruns von Ferrari sind schwer zu lesen. Der erste von Leclerc und der zweite von Sainz sind wenig repräsentativ, weil zu wenig gezeitete Runden in den Fünf-Runden-Stints enthalten waren. Die präsentable Longrun-Zeit auf den Medium-Reifen ist Leclerc im zweiten Teil des Trainings gefahren, also mit weniger Sprit im Tank. Deshalb muss die Bestzeit nicht viel bedeuten. Sainz fehlten im direkten Vergleich mit Perez im Schnitt eine halbe Sekunde pro Runde.

Sergio Perez - GP Italien 2023
xpb

Durch den Crash ließ sich Sergio Perez nicht entmutigen.

Wird Monza für Red Bull zur Erfolgsbremse?

McLaren stolperte bei seinem Durchmarsch 1988 über Monza. Und über Jean-Louis Schlesser. Für Red Bull ist Monza zwar schon lange kein Schreckgespenst mehr, doch Max Verstappen hat auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke eine seiner schlechtesten Bilanzen. Das erste Training gewann der elffache Saisonsieger noch mit 0,046 Sekunden Vorsprung auf Carlos Sainz. Im zweiten tauchte er auf den fünften Platz ab.

Allerdings musste der Holländer in seiner schnellsten Runde zwischen Lesmo und Ascari zehn Autos überholen. Und einen zweiten Versuch auf den Soft-Reifen gestand ihm Red Bull nicht zu. Auch Perez hatte nur einen Schuss. Und neun Minuten vor der Zielflagge noch einen spektakulären Unfall in der Parabolica.

Sportchef Helmut Marko lieferte die Erklärung: "Wir haben viel herumexperimentiert und es dabei ein bisschen übertrieben. Bei den Longruns hat die Balance nicht mehr so gepasst, wie wir uns das gewünscht haben. Das Auto hat leicht übersteuert und war nicht leicht zu fahren. So hat es auch den Perez erwischt."

Der WM-Zweite war trotzdem zufrieden. Er fühlte sich im Gegensatz zu Verstappen hundertprozentig wohl im Auto. Verstappen muss noch Feintuning betreiben. Das zeigt sich auch in den Longruns. Perez war im Schnitt zwei Zehntel schneller als sein Teamkollege. Marko sieht im Moment Ferrari als den größten Gegner: "Die sind auf eine Runde und im Longrun stark."

Lewis Hamilton - GP italien 2023
Wilhelm

Der Hamilton-Weg mit mehr Abtrieb war nicht der Richtige. Das Auto verlor auf den Geraden mehr Zeit, als man in den Kurven gutmachen konnte.

Wo stehen die Mercedes?

Mercedes kam gut in das erste Training. Nachdem die Ingenieure die Bodenfreiheit bestimmt hatten, zogen Lewis Hamilton und George Russell planmäßig ihr Programm durch und lobten die Balance. Im zweiten Training ging nicht mehr viel. Die Fahrer konnten den Gripvorteil der Soft-Reifen nicht ausspielen und landeten nur auf den Plätzen 9 und 17. Wieder wurde bei Mercedes experimentiert. Hamilton wählte mehr Abtrieb und war auf der Gerade 5 km/h langsamer als der Teamkollege.

Wieder einmal müssen Ingenieure, Fahrer und das Basislager in Brackley in Klausur gehen, um den besten Kompromiss auszutüfteln. Der Zeitverlust mit der Hamilton-Abstimmung auf den Geraden war größer als der Zeitgewinn in den Kurven. Das Setup wird wohl mehr Richtung Russell tendieren.

Der 25-jährige Engländer resümierte: "Es ist klar, worauf jetzt der Fokus liegen muss. Auf eine Runde müssen wir noch Speed finden. Mit vollen Tanks waren wir stark." In der Rennsimulation büßte Mercedes im Schnitt vier Zehntel pro Runde auf Red Bull ein.

Lance Stroll - GP Italien 2023
xpb

Nach dem Defekt am Auto von Lance Stroll fehlen Aston Martin noch Daten.

Aston Martin oder McLaren?

Nach dem ersten Trainingstag sieht McLaren stärker aus als Aston Martin. McLaren opferte zwei Trainingssitzungen für einen Vergleichstest von zwei Heckflügelspezifikationen. Lando Norris probierte den neuen Monza-Flügel, Oscar Piastri ein Derivat des Spa-Exemplars. Da Norris im internen Duell beide Mal die Nase vorne hatte, dürfte die Entscheidung beim abendlichen Briefing wahrscheinlich zu Gunsten der Neukonstruktion fallen.

Norris verfehlte die Tagesbestzeit nur um 0,019 Sekunden. Der Engländer profitierte dabei aber auch von einem perfekten Windschatten. Der kann in Monza zwei bis drei Zehntel ausmachen. Trotzdem muss man mit McLaren zumindest auf eine Runde rechnen. Auch Piastri fehlen nur 0,190 Sekunden auf die Bestzeit.

Bei den Rennsimulationen muss McLaren noch zulegen. Der Longrun von Norris auf Medium-Reifen war schwer zu lesen, trotzdem aber zu langsam. Piastri war auf den harten Reifen einen Hauch langsamer als Kevin Magnussen im Haas.

Aston Martin erlebte keinen runden Tag. Am Mittag nahm Felipe Drugovich den Platz von Lance Stroll ein. Der Brasilianer sollte Longruns auf dem Medium-Reifen fahren. Im zweiten Training saß wieder Stroll im Auto mit der Startnummer 18. Aber nicht lange. In der dritten Runden stoppte der Kanadier, weil sein Motor Power verlor.

Die Benzinzufuhr streikte. Das Gleiche war ihm schon vor einer Woche in Zandvoort passiert. Fernando Alonso landete mit sieben Zehnteln Rückstand auf dem siebten Platz. Der Spanier fuhr seine Zeit allerdings deutlich früher als die Konkurrenz, und der Reifensatz hatte auch schon einige Runden auf der Uhr.

Alex Albon - GP Italien 2023
xpb

Alex Albon könnte im Qualifying wieder um die vorderen Plätze mitfahren.

Ist Williams ein Geheimfavorit?

Fernando Alonso hatte schon am Donnerstag gewarnt: "Ferrari und Williams werden hier in Monza herausstechen. Die Rennstrecke passt zu den Stärken ihrer Autos. Das war schon in Montreal so." Williams ist auf jeden Fall ein ernstzunehmender Kandidat für WM-Punkte. Alexander Albon nistete sich mit seiner Zeit von 1.21,979 Minuten auf Medium-Reifen in den Top Ten ein. Alle Fahrer um ihn herum waren auf Soft-Reifen unterwegs.

Mit 347 km/h ist der Williams das schnellste Auto auf der Zielgerade. Und auch die Longruns können sich sehen lassen. Albon rangiert auf den Medium-Reifen auf Rang 5 der Tabelle. Seine Rennsimulation ist praktisch identisch mit der von George Russell. Allerdings fand der Dauerlauf wie bei Russell erst in der zweiten Hälfte des Trainings statt. Damit war weniger Benzin an Bord als bei Perez oder Sainz, die ihre Longruns gleich zu Beginn des Trainings abgespult hatten.

Pierre Gasly - Alpine - Formel 1 - GP Italien - Monza - 1. September 2023
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Durch die alternative Reifenregel waren die Trainingszeiten schwer zu lesen.

Was bedeutet die Reifenregel für die Strategie?

Am ersten Trainingstag sparten die Teams mit Reifensätzen, aber nicht mit Runden. Grund ist eine spezielle Reifenregel, die in Budapest uraufgeführt wurde. Pirelli stellt pro Team jeweils zwei Reifensätze weniger als üblich zur Verfügung. Außerdem sind die Reifensorten für die einzelnen Qualifikationsrunden vorgeschrieben. Hart für das Q1, medium für das Q2 und soft für das Q3.

Wer damit rechnen muss, dass er es ins Q3 schafft, muss sich genug Soft-Garnituren aufheben. Wer sich selbst nicht in den Elite-Club einordnet, kann schon am Freitag Pirellis weichste Reifen verfeuern. Red Bull, Ferrari und Mercedes ließen im ersten Training von den Soft-Gummis die Finger und packten sie erst in der zweiten Hälfte der Nachmittagssitzung aus.

Pirelli-Sportchef Mario Isola erklärt: "Für das Rennen will sich jeder die härteren Mischungen aufheben, weil man dann mit nur einem Boxenstopp über die Distanz kommt. Entweder mit der Reifenfolge medium-hart oder hart-medium."

Der Soft-Reifen wird wahrscheinlich nur bei Zweistopp-Rennen zum Einsatz kommen. Pirelli stellte rechts hinten einen unerwartet hohen Verschleiß fest. Isola glaubt aber, dass die Teams dieses Problem mit dem Setup noch in den Griff bekommen können. Die drei Reifensorten sind eine Stufe weicher als im letzten Jahr.

Weil das Format noch so neu ist, tasten sich alle mit unterschiedlichen Taktiken an den optimalen Ablauf hin. "Du hast deshalb kein Gefühl dafür, wer schnell und wer langsam ist. Die einen fahren zwei Sätze Soft im Training, die anderen einen Satz hart. Die einen drehen den Motor auf, die anderen nicht. Und alle fahren noch unterschiedliche Spritmengen, weil jeder sein eigenes Programm abspult", schüttelte Haas-Teamchef Guenther Steiner den Kopf.

GP Italien 2023 - Longrun-Zeiten

Fahrer

Ø  Rundenzeiten

Runden

Reifentyp

Stint

Alonso

1.26,709 min

5

soft

1

Leclerc

1.25,221 min

5

medium

2

Perez

1.25,466 min

5

medium

1

Verstappen

1,25,657 min

5+5

medium

1+2

Russell

1.25,838 min

5

medium

2

Albon

1.25,848 min

5

medium

2

Norris

1.25,988 min

3+5

medium

1+2

Sainz

1.26,078 min

5

medium

1

Tsunoda

1.26,238 min

5

medium

2

Hamilton

1.26,572 min

9+5

medium

1+2

Gasly

1.26,751 min

5

medium

1

Sargeant

1.26,787 min

6+5

medium

1+2

Ocon

1.26,914 min

5

medium

2

Bottas

1.27,120 min

5

medium

1

Zhou

1.27,693 min

5

medium

1

Magnussen

1.27,077 min

5

hart

2

Piastri

1.27,114 min

5

hart

2

Hülkenberg

1.27,476 min

3+5

hart

1+2

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