Drehte Ferrari den Motor auf?
Erst im Q3 macht es Klick

GP Mexiko 2023

Ferrari wirkte nicht wie ein Kandidat auf Pole Position. Dann drehte die Scuderia im Quali-Finale auf. Laut Red Bull den Motor, doch die Leistungssteigerung ist vielmehr durch optimale Reifentemperaturen zu erklären. Plötzlich rasten Charles Leclerc und Carlos Sainz in die erste Startreihe vor Max Verstappen.

Leclerc - Sainz - Ferrari - GP Mexiko 2023
Foto: xpb

Zwei Rennen an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden. Erst Austin, dann Mexiko. Zwei Mal Pole Position für Ferrari. Zwei Mal gleichen sich die Aussagen. Die Scuderia verblüffte sich mit der sechsten Pole für ein Hauptrennen in dieser Saison selbst – vier davon gehen auf das Konto von Charles Leclerc. "Das ist wie in Austin eine große Überraschung für uns", gestand der Monegasse. "Ich weiß, das sage ich inzwischen nach jeder Pole. Die Leute glauben mir wahrscheinlich schon gar nicht mehr."

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Dieses wie letztes Mal aber, beteuert der 26-Jährige, sei es so gewesen. In Mexiko kam der Ritt auf den besten Startplatz noch unerwarteter als sonst. Weil Ferrari in den Trainings nicht bei der Vergabe um die Spitzenplätze mitmischte. Die roten Autos verloren im zweiten Abschnitt mit zunächst drei langsamen Kurven, auf die fünf der Sorte mittelschnell bis schnell folgen.

Ferrari-Quantensprung von Q2 ins Q3

Noch mehr büßten die SF-23 in den Trainings im Schlussteil durch das Stadion ein. Da überhitzen die Reifen bereits. Leclerc gab zu: "Ich habe gar nicht viel am Setup verändert." Und doch waren die Roten in der Qualifikation plötzlich zur Stelle. Im Q1 auf den Mediumreifen deutete es sich an. Danach allerdings strauchelte Ferrari auf den weichen Pirellis vom Typ C5, bis zur Super-Runde im ersten Q3-Schuss. "Bis tief in die Qualifikation hinein haben wir nicht an so eine Leistung geglaubt."

Im ersten Run von Q3 machte es für beide Ferrari-Piloten plötzlich Klick. "Auf einmal stimmte alles. Ich bekam eine flüssige Runde hin. Es lief einfach in allen Beziehungen besser. Von der Aufwärmrunde bis hin zum fliegenden Versuch", schildert der Pole-Setter. Dem Teamkollegen erging es ähnlich. "Bis zum Q3 hatte ich nicht eine gute Runde an diesem Wochenende. In meinem ersten Run ist mir zwischen den Kurven acht und neun noch das Heck gekommen. Ich hätte das Auto fast verloren. Als ich meine Rundenzeit von 1:17.2 auf dem Monitor gesehen habe, wusste ich nicht, woher das kam."

Die Ferrari vollbrachten ein Wunder. Im Vergleich zum zweiten Durchgang verbesserte sich Leclerc um 0,735 Sekunden. Sainz fand gar 1,149 Sekunden. Max Verstappen hingegen quetschte aus seinem Red Bull nur 0,362 Sekunden mehr heraus. Die Beobachter rieben sich verwundert die Augen. Wie ist so ein Zeiten-Sprung möglich?"

Charles Leclerc - Ferrari - Formel 1 - GP Mexiko 2023 - Qualifikation
xpb

Charles Leclerc raste zum vierten Mal in dieser Saison und zum 22. Mal in seiner Laufbahn auf Pole Position.

Reifentemperaturen als Schlüssel

Bei Red Bull erklärte man es sich mit dem Motormodus. Ferrari habe an der Leistungsschraube gedreht. Dahinter steht allerdings ein Fragezeichen. Weil es die Regeln nicht gestatten. Und wenn Ferrari mehr Leistung abruft, hätten es die Kunden auch dürfen müssen. Dazu können wir nur die Alfa Romeo als Vergleichsmaßstab heranziehen. Valtteri Bottas war im Finale 16 Tausendstel langsamer als im zweiten Segment der Qualifikation.

Ferrari lieferte eine andere Erklärung, die logische: die Reifentemperaturen. Wer daneben liegt, erkennt sein Auto nicht mehr. Das erklärt den Absturz von Alexander Albon von Training zu Quali. Wer die Pirellis in ihr schmales Arbeitsfenster treibt und sie dort über die 4,304 Kilometer hält, kann Wunder vollbringen. So wie Mercedes im Q2, als Lewis Hamilton und George Russell flogen. Im Q3 purzelten sie wieder aus dem Fenster und damit aus den ersten Startreihen.

Gerade auf einer Rennstrecke, die mit einem glatten Asphalt aufwartet, macht jedes Grad mehr oder weniger im Reifen einen Riesenunterschied. Auf einer Piste, auf der es sich trotz voller Flügel für die Fahrer wie auf einer Eisbahn anfühlt. Es ist ein Ritt auf Messers Schneide. Wer in der Höhe von 2.230 Metern auch nur minimal zu hart pusht, der bezahlt es mit einem rutschenden Auto. Das wiederum lässt die Reifentemperaturen durch die Decke schießen.

Genau das widerfuhr Verstappen. "Im Q1 war es noch okay. Im Q2 auch nicht so schlecht. Im Q3 sind wir dann auseinandergefallen. Die Balance verrutschte. Der erste Sektor war nicht ideal, im zweiten Sektor bin ich gerutscht und im letzten Abschnitt waren die Reifen hinüber", erklärt der Weltmeister. Die Ferrari-Piloten konservierten sie über die Runde.

Max Verstappen - Red Bull - GP Mexiko 2023
Motorsport Images

Max Verstappen bleibt für den Rennsonntag der haushohe Favorit.

Ferrari stapelt tief

Diesmal ließen die Hinterreifen im Stadion nicht nach am roten Auto. Die leicht fallenden Streckentemperaturen hatten geholfen. Der Extra-Grip der Reifen überdeckte so manches Defizit. Leclerc und Sainz fuhren ihre schnellste Runde bereits im ersten Q3-Anlauf. Sie packten ihre drei besten Sektoren in einen Umlauf, erreichten also ihre Idealzeit. Für Verstappen hätte es selbst nicht gereicht, wenn man seine besten drei Durchgangszeiten zusammenzählt. Der Weltmeister hätte dann immerhin Sainz hinter sich gelassen.

Im Rennen erwartet Ferrari die üblich schwere Aufgabe. In den Trainings ging der Red Bull pfleglicher mit den Reifen um – wie immer. "Das Tempo von Max werden die Ferrari nicht halten können", glaubt Red Bulls Sportchef Helmut Marko. Verstappen frohlockt: "Ich habe als einziger zwei harte Reifensätze reserviert. Das könnte ein Vorteil sein. Ich fühle mich bestens gerüstet."

Die zwei harten Sätze könnte er dann ausspielen, wenn sich der GP Mexiko zu einem Zweistopprennen entwickelt. Die Ferrari-Fahrer haben sich je einen Satz vom C3 und C4 aufgespart. "Das waren letztes Jahr auch die Rennreifen", sagt Sainz. Heißt: Ferrari sieht sich strategisch nicht im Nachteil.

Ferrari-Fahrer auf Verstappen-Seite

Vielleicht durchbricht Verstappen die rote Mauer bereits am Start. "Der dritte Platz ist eigentlich der bessere", weiß Leclerc. Weil der Anlauf zur ersten Kurve 811 Meter lang ist und sich der Red Bull hinter die Ferrari klemmen und vom Windschatten profitieren kann. "Aber wir hatten in dieser Saison meist gute Starts. Daher bin ich nicht so besorgt", sagt Leclerc. Freie Fahrt wäre extrem wichtig, um die Motoren und die Bremsen ausreichend zu kühlen. Beide Ferrari-Fahrer sind sich einig: "Max ist der große Favorit." Wer auch sonst?

Beim Streitpunkt Boxenausfahrt sprangen die Ferrari-Fahrer ihrem Rivalen zur Seite. Verstappen hatte wie George Russell und Fernando Alonso im Q1 einen Stau ausgelöst, weil er seinen Red Bull in der Fast Lane anhielt. "Alle machen das. Jeder versucht, sieben bis acht Sekunden nach vorne zu schaffen, damit du eine saubere Outlap fahren und in deiner schnellen Runde nicht in Turbulenzen gerätst", urteilt Sainz.

Die Fahrer sehen sich durch eine Vorgabe der Rennleitung dazu veranlasst. Sie schreibt seit ein paar Rennen eine Mindestzeit zwischen den Safety-Car-Linien vor, um ein Bummeln auf der Strecke und dadurch gefährliche Situationen zu vermeiden. In Mexiko liegt diese Zeit bei 1:36.0 Minuten. "Das Problem hat sich von der Strecke in die Boxengasse verlagert. Wir brauchen für 2024 eine bessere Lösung."

Verglichen mit dem Vorjahr gelang Ferrari ein Quantensprung. In der dünnen Höhenluft hatte sich der Rennstall aus Maranello mit der Kühlung verkalkuliert. Das zwang die Ingenieure dazu, die Motoren herunterzuregeln. 2023 ist das anders. Die Frage bleibt: Fressen die Ferrari im Renntrimm ihre Reifen? Oder wird auch das besser?

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