Taktik-Check GP Mexiko 2023
Mercedes im Rennglück

GP Mexiko 2023

Der Rennabbruch in der 34. Runde gab dem Rennen eine Wendung. Er half Lewis Hamilton und schadete Charles Leclerc. Esteban Ocon war der große Sieger, Valtteri Bottas der große Verlierer.

Lewis Hamilton - Mercedes - GP Mexiko 2023 - Mexiko-Stadt - Formel 1 - Rennen - 29.10.2023
Foto: Wilhelm

Bis Runde 34 verlief der GP Mexiko nach Plan. 17 Fahrer gingen auf Medium-Reifen an den Start. Max Verstappen führte das Rennen mit 16,5 Sekunden vor Charles Leclerc und 19,2 Sekunden vor Lewis Hamilton an. Alle drei hatte ihre Boxenstopps schon hinter sich. Doch während Red Bull für Verstappen mit zwei Stopps plante, setzten Mercedes und Ferrari auf ein Einstopp-Rennen. Für Mercedes wäre es eine schwierigere Aufgabe geworden. Hamilton ging sieben Runden früher als Leclerc an die Box, George Russell vier Runden vor Carlos Sainz.

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Verstappen wäre nach seinem zweiten Stopp möglicherweise hinter Leclerc ins Rennen zurückgekehrt, hätte den Ferrari aber dann mit einem frischen Satz harter Reifen schnell geschluckt. Der Weltmeister hatte sich einen zweiten Satz hart reserviert, um das ganze Rennen Attacke zu reiten. Teamkollege Sergio Perez hatte zwei Garnituren Medium in der Hinterhand, sollte aber mit einem Reifenwechsel über die Distanz kommen. Der zweite Satz Medium war eine Backup-Lösung, sollte der harte Reifen in der Mitte einbrechen. Dazu kam es nicht. Der Grand Prix war für den Lokalhelden nach 800 Metern zu Ende.

Sergio Perez - Red Bull - Formel 1 - GP Mexiko 2023 - Rennen
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Sergio Perez riss sich in Kurve 1 aus dem Kampf ums Podest und musste beim GP Mexiko aufgeben.

Verstappen verfluchte die rote Flagge

Ein schwerer Unfall von Kevin Magnussen in der 32. Runde stellte das Rennen auf den Kopf. Erst kam ein Safety Car, dann die rote Flagge. Die großen Gewinner schienen zunächst Max Verstappen, Lando Norris und Alexander Albon. Alle drei nutzten das Safety Car zu ihrem finalen Stopp. Für den Rest lohnte es sich nicht. Sie waren zu kurz mit ihrem zweiten Reifensatz auf der Strecke oder hatten auch keine frischen Reifen mehr im Angebot. Albon war zu dem Zeitpunkt sogar noch mit seinen Startreifen unterwegs. Er hatte wie Esteban Ocon die harten Sohlen gewählt.

Nur eine Runde später freuten sich die vermeintliche Nutznießer schon nicht mehr so. Die rote Flagge stellte alle Uhren auf null. Verstappen verfluchte den Abbruch, weil er ihm einen zweiten stehenden Start bescherte und er fürchten musste, dass ihm an der Spitze das Gleiche passiert wie den Ferrari beim ersten Start. Der gebürtige Belgier musste Angst haben, dass Hamilton mithilfe des Windschattens und der weicheren Reifen an ihm vorbeizieht. Was nicht passierte. "Ich hatte einen Scheiß-Start", entschuldigte sich Hamilton am Funk beim Team.

Die schöne Taktik von Lando Norris war ebenfalls im Eimer. McLaren hatte ihn mit einer aggressiven Taktik von Startplatz 17 mit Soft-Reifen ins Rennen geschickt, in der Hoffnung auf ein frühes Safety Car, viel Landgewinn im Feld und nach dem ersten Stopp viel freie Fahrt ohne Verkehr. Dank fünf Überholmanövern und dem Gratis-Stopp unter dem Safety Car lag er beim Abbruch schon auf Platz zehn. Doch beim Re-Start stürzte der McLaren-Pilot auf Rang 14 ab. "Da habe ich nicht mehr an Punkte geglaubt", gab Teamchef Andrea Stella zu.

Albon verlor durch die Sequenz Safety Car und Abbruch drei Positionen. Aus einer glücklichen Fügung wurde ein Absturz. Der Williams-Pilot machte den Platzverlust mit einem Mega-Start sofort wieder wett und kam als Neunter aus der Re-Start-Runde zurück.

Alexander Albon - Williams - GP Mexiko 2023
Wilhelm

Alex Albon schnappte sich in Mexiko-Stadt die nächsten zwei Punkte für Williams.

Ocon mit der besten Strategie

Die absolut beste Strategie jedoch hatten Esteban Ocon und Yuki Tsunoda. Sie widerstanden der Versuchung das Safety Car für einen Boxenstopp zu nutzen, weil ihre Strategen das Gefühl hatten, aus Magnussens Crash könnte noch ein Rennabbruch entstehen. Die TV-Bilder zeigten nicht nur einen brennenden Haas, sondern auch eine stark ramponierte Tecpro-Barriere.

Während Tsunoda mit Blick auf ein Zweistopp-Rennen und viel freie Fahrt schon in der neunten Runde seinen Satz Medium losgeworden ist und nach 31 Runden trotzdem wieder auf Platz zehn auftauchte, hatte Ocon bis dahin noch überhaupt nicht Reifen gewechselt.

Der Franzose dümpelte lange am Ende des Feldes herum, bis ihn die Boxenstopps der Gegner immerhin auf Platz 14 vorspülten. Den Rang behielt er auch, weil ihm die Pause einen geschenkten Reifenwechsel bescherte. Wie Albon gewann Ocon beim Re-Start drei Positionen und lag plötzlich in Punktenähe und zudem noch vor Teamkollege Pierre Gasly, für den der Abbruch zum dümmsten Moment kam.

Alle Fahrer, die noch unter Renntempo kurz vor dem Unfall von Magnussen ihren Boxenstopp abgewickelt hatten, waren irgendwie Verlierer. Als der größte Pechvogel stellte sich aber Valtteri Bottas heraus, der einen zehnten Platz gegen Rang 16 eintauschte und im zweiten Teil des Rennens nicht mehr attackieren konnte, weil ein Abreißvisier eine seiner hinteren Bremsscheiben zukleisterte. Danach war viel Brems-Management angesagt.

Valtteri Bottas - Alfa Romeo - Formel 1 - GP Mexiko 2023 - Mexico City
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Valtteri Bottas kämpfte vor dem Rennabbruch um WM-Zähler. Die Rotphase traf den Finnen hart.

Nur vier Fahrer mit frischen Reifen

Ein entscheidender Teil für den Rest des Rennens war die Reifenwahl für die verbleibenden 36 Runden. Nur vier Fahrer gingen auf komplett neuen Reifen in die Restdistanz. Nico Hülkenberg, Esteban Ocon und Logan Sargeant mit frischem Mediums, Yuki Tsunoda mit einer neuen Garnitur harter Reifen. Genutzt hat der Luxus nur Ocon.

Tsunoda versemmelte es durch eine Kollision mit Oscar Piastri, und Hülkenbergs Reifen brachen sieben Runden zu früh ein. "Wir wussten vom ersten Stint, dass der Medium-Reifen für uns ab der 30. Runde kritisch wird. Aber wir mussten es riskieren, weil Nicos harte Reifen schon elf Runden alt waren", erklärte Einsatzleiter Ayao Komatsu den Schachzug.

An der Spitze war die Reifenwahl mal einfach, mal kompliziert. Verstappen blieb auf seinen harten Reifen, die erst eine Runde alt waren. Er hatte sonst nichts mehr im Angebot. Ferrari traute sich die Restdistanz auf gebrauchten Mediums nicht zu. Leclercs harte Reifen hatten drei Runden abgespult, die von Sainz vier Runden. "Da lag unsere Entscheidung auf der Hand", verteidigte sich Teamchef Frédéric Vasseur. Später stellte sich heraus, dass die Ferrari mit Pirellis C3-Mischung nicht harmonierten. "Wir haben die harten Reifen nie in ihr Fenster gebracht", beschwerten sich die Fahrer.

Carlos Sainz - Ferrari - Formel 1 - GP Mexiko 2023 - Rennen
Motorsport Images

Die Ferrari litten unter der C3-Mischung von Pirelli und fielen gegenüber Verstappen sowie Hamilton ab.

Mercedes gab Medium-Reifen den Vorzug

Mercedes setzte auf gebrauchte Medium-Sohlen. Der Satz von Hamilton hatte im Q1 eine Runde abgespult, der von Russell im ersten Freitagstraining acht Runden. Die harten Reifen waren wegen früher Boxenstopps bei Hamilton auch schon zehn Runden alt, bei Russell acht. Mercedes machte sich auch Sorgen, mit diesen Reifen beim Re-Start zu viele Plätze zu verlieren.

Die frühen Boxenstopps hatten taktische Gründe. Hamiltons Stopp in Runde 24 bestimmte ein Undercut gegen Sainz, der auch funktionierte. "Wir mussten warten, bis sichergestellt war, dass Lewis vor der Hülkenberg-Gruppe rauskommt", berichtete die Chefstrategin. Mit Russell war eigentlich ein Undercut gegen Piastri geplant, doch der Australier kam dem Plan zuvor. "Wir haben George dann trotzdem reingeholt, um nicht auch noch die Position an Norris zu verlieren."

Bei Norris war die Wahl klar. Der Satz Medium an seinem McLaren war erst eine Runde alt, der McLaren funktionierte besser auf der weicheren Mischung, und Norris brauchte maximalen Grip für eine der besten Aufholjagden der letzten Jahre. Der Engländer überholte im zweiten Teil des Rennens noch acht Konkurrenten, schonte trotzdem Reifen und Bremsen.

Mercedes dagegen musste mehr Temperaturmanagement betreiben. Besonders die Bremsen waren kritisch. "Wir haben in den meisten Runden über alle drei großen Bremspunkte zusammengerechnet zwischen 150 bis 200 Meter früher gebremst als normal", gaben die Strategen zu. Nur im Duell gegen die Ferrari wurden Hamilton und Russell von der Kette gelassen.

Lando Norris - McLaren - Formel 1 - GP Mexiko 2023 - Mexico City
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Lando Norris zeigte nach seinem verpatzten Qualifying ein starkes Rennen und landete auf Platz fünf.

Russell zu lange hinter Sainz

Hamilton kam nach fünf Runden Kampf an Leclerc vorbei, Russell musste nach 14 Runden im Windschatten von Sainz Abstand nehmen. Die Bremsen wurden zu heiß, die Reifen hatten zu stark gelitten. So stark, dass er gegen Norris mit dem Rücken zur Wand fuhr und Daniel Ricciardo noch auf 0,5 Sekunden aufschloss. "Es war wie auf Eis", beschrieb Russell die letzten Runden.

Für Hamilton waren die Medium-Reifen der goldene Griff. Leclerc verlor bis ins Ziel noch 9,2 Sekunden. Und die Garnitur Medium hielt bei dem WM-Dritten bis zum Schluss. Hamilton belohnte sich im letzten Umlauf noch mit der schnellsten Runde. "Lewis ist länger ohne Verkehr gefahren als George", lieferte der Kommandostand die Erklärung für den unterschiedlichen Verschleiß. Mercedes war froh, dass Norris so weit hinten gestartet war: "Vom Renntempo her war es so schnell wie Lewis. Bei einem besseren Startplatz hätte er uns Probleme bereitet."

Daniel Ricciardo hätte noch eine Runde gebraucht, um sich den sechsten Platz zurückzuholen, den Russell beim Re-Start gewonnen hatte. "Ich musste mit alten harten Reifen fahren, weil nichts anderes da war", bedauerte Ricciardo den Abbruch. Seine harten Sohlen waren vor dem zweiten Teil des Rennens sieben Runden alt.

Ocon schaffte es schließlich doch noch in die Punkte. Fünf Runden vor Schluss knackte er endlich Hülkenberg. Der Haas-Pilot hatte fast das ganze Rennen eine Alpine in seinem Rückspiegel. Die französischen Autos waren lange seine beste Lebensversicherung. Sowohl Gasly als auch Ocon hätten schneller fahren können, hatten aber trotz DRS nicht den Topspeed den Haas zu überholen. Erst als der schwindende Grip Hülkenberg zwang, früher zu bremsen, konnte er die blauen Autos nicht mehr halten.

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