Taktik-Check GP Kanada 2023
Ferrari pokert und gewinnt

GP Kanada 2023

Max Verstappen musste in Montreal zum ersten Mal diese Saison mit der Taktik auf andere reagieren. Und Ferrari gewinnt mit einem Strategiepoker mit beiden Autos sechs Plätze. Wir blicken auf die wichtigsten Entscheidungen an den Kommandoständen.

Charles Leclerc - GP Kanada 2023
Foto: Ferrari

Auf dem Papier hatten die Teams die Qual der Wahl. Ein Stopp oder zwei? "Da lag nicht viel dazwischen", erklärten die Mercedes-Strategen. "Vor dem Rennen haben die meisten zu einem einzigen Reifenwechsel tendiert. Das frühe Safety-Car hat die meisten dann zu einem zweiten Stopp animiert."

Nur vier Fahrer blieben der Minimallösung treu. Und alle vier landeten in den Punkterängen. Charles Leclerc, Carlos Sainz, Alexander Albon und Valtteri Bottas sparten sich gegenüber den Zweistoppern rund 25 Sekunden Rennzeit. Nur Albon nutzte das Safety-Car zum Gratis-Stopp. Ab da fuhr der Williams-Pilot 58 Runden lang auf einem Satz Reifen. Und verteidigte seinen siebten Platz mit Händen und Füßen. Der überragende Topspeed von 343 km/h half ihm dabei.

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Williams trickst die McLaren aus

Albon lag schon vor den Safety-Car-Stopps in der zwölften Runde in den Top Ten. Er machte danach noch zwei Plätze gut, als die McLaren-Piloten einen zweiten Reifenwechsel einschoben. "Wir hatten einen Stopp als Plan A, aber nach 35 Runden haben die Reifen zu stark nachgelassen", bedauerte Teamchef Andrea Stella. Während Williams sechs WM-Punkte feierte, ging McLaren wie in Barcelona leer aus.

Neben Williams gab es noch ein zweites Team, das erfolgreich pokerte. Ferrari ließ seine beiden Fahrer auf der Strecke, als das Safety-Car alle dazu einlud, die Reifen ohne den üblichen Zeitverlust zu wechseln.

Der Mut bestand darin, die Strategie nicht zu splitten und darauf zu setzen, dass Leclerc und Sainz bis zu Rennmitte so viel Vorsprung auf das Verfolgerfeld herausfahren, damit ein Stopp unter Renntempo die gewonnenen Positionen nicht wieder kostet. Ein zweites Safety-Car hätte je nach Zeitpunkt entweder den K.O. oder den Jackpot bedeutet.

In Runde 38 hatte das Ferrari-Tandem schließlich eine 24-Sekunden-Lücke zu Albon rausgefahren, der zu dem Zeitpunkt das Hauptfeld anführte. Das reichte, um die Plätze 4 und 5 zu halten. Um den Plan nicht zu gefährden, galt für Leclerc und Sainz ein Nichtangriffspakt. "Wir mussten Tempo machen, als die Strecke vor uns frei war. Das schaffst du nicht, wenn du dich in interne Kämpfe verstrickst", erklärte Teamchef Frédéric Vasseur.

Alexander Albon - Formel 1 - GP Kanada 2023
xpb
Alex Albon kam nur in der Safety-Car-Phase an die Box. Am Ende musste er sich auf alten Reifen verteidigen.

Ferraris Strategieabteilung rehabilitiert

Es war für Ferrari der einzige Weg, von den Startplätzen zehn und elf noch 22 Punkte einzusammeln. Auf der Rennstrecke konnten die roten Autos nur einen Platzgewinn verzeichnen, und den auch nur in den Wirren der ersten Runde.

Überholen war trotz drei DRS-Zonen ungewöhnlich schwer in Montreal. Das zeigen nur 16 Überholmanöver. "Ich hing in einem DRS-Zug hinter Lando (Norris) fest", erinnerte sich Leclerc an die Anfangsphase. "Obwohl ich deutlich schneller war, gab es kein Vorbeikommen."

Das Aufatmen bei Ferrari war hörbar. Nicht nur, weil die Autos vom Rennspeed her auf dem Niveau von Aston Martin und Mercedes lagen und es ausnahmsweise mal keine Reifenprobleme gab, sondern auch, weil sich die Strategieabteilung mit ihrem gelungenen Coup rehabilitierte.

Nach der Qualifikation wurden Ravin Jain und seine Mannschaft wieder einmal öffentlich abgewatscht. Teils zu Unrecht. Am Ausscheiden von Leclerc im Q2 war nicht nur der verspätete Wechsel auf Slicks schuld, sondern auch der Fahrer selbst. Er hatte es durch Fehler versäumt, auf Intermediates eine Rundenzeit als Sicherheit vorzulegen, die für das Weiterkommen gereicht hätte.

Fernando Alonso - Formel 1 - GP Kanada 2023
Wilhelm
Bei Aston Martin hob man sich zwei harte Reifensätze für das Rennen auf. Bei Ferrari und Mercedes setzte man auf zwei Mediums.

Aston Martin setzt auf harte Reifen

An der Spitze gab es nur wenig Bewegung. Max Verstappen führte von Anfang bis Ende. Alonso holte sich nach 22 Runden beim Anflug auf die Schikane vor Start und Ziel den zweiten Platz zurück, den ihm Hamilton beim Start abgeluchst hatte. Alle drei waren auf Medium-Reifen ins Rennen gegangen und hatten in der Safety-Car-Phase auf harte Reifen gewechselt.

Erst nach dem zweiten Stopp änderten sich die Rahmenbedingungen. Verstappen und Hamilton griffen wieder auf die Medium-Mischung zurück, während Alonso dem harten Reifen den Vorzug gab. Er hatte keinen Medium mehr in der Hinterhand.

Aston Martin setzte bewusst auf Pirellis C3-Mischung. Man rechnete damit, dass Alonso über lange Strecken Tempo machen müsste, wenn er wie angekündigt Verstappen unter Druck setzen wollte. Dafür brauchte er den robustesten Reifen im Angebot.

Während Mercedes den Medium-Gummi für die bessere Option hielt, glaubt Aston-Martin-Teamchef Mike Krack nicht, dass der harte Reifen ein Fehler war. "Am Anfang konnte Lewis mit dem Gripvorteil des Medium-Reifens Boden auf Fernando gutmachen, aber je länger der Stint gedauert hat, hat sich die harte Mischung durchgesetzt, und wir konnten Lewis wieder davonfahren." Tatsächlich schrumpfte das Delta zwischen den Altstars zunächst von 5,4 auf 1,4 Sekunden, um bis zum Ziel wieder auf 4,5 Sekunden anzuwachsen.

Max Verstappen - Formel 1 - GP Kanada 2023
Red Bull
Red Bull musste die Verstappen-Verfolger immer im Blick behalten.

Red Bull muss auf Gegner reagieren

Tatsache ist, dass alle drei Red-Bull-Verfolger aufgeholt haben. So eng waren die Abstände noch nie, auch wenn es für 9,5 Sekunden (Aston Martin), 14,1 Sekunden (Mercedes) und 18,6 Sekunden (Ferrari) noch das ein oder andere Upgrade braucht, um die Lücke ganz zu schließen.

Immerhin hat der geschrumpfte Vorsprung Red Bull zum ersten Mal gezwungen, auf die Boxenstopps der Gegner zu reagieren. Als Hamilton und Alonso zum zweiten Reifenwechsel abbogen, war das für Verstappen der Befehl ebenfalls an die Box zu kommen.

Er hätte das Rennen zwar auch mit seinem zweiten Satz beendet und bei normalem Verlauf auch mit einem Stopp gewonnen, doch Red Bull musste den Weltmeister gegen ein mögliches Safety-Car absichern. In diesem Fall hätten Alonso und Hamilton beim Re-Start viel frischere Reifen gehabt als Verstappen. Und das wollte der WM-Spitzenreiter nicht riskieren.

Dass Red Bull sich nun ein bisschen mehr strecken muss, zeigte auch der Fall Sergio Perez. Der Mexikaner startete direkt hinter den Ferrari, fuhr mit der gleichen Taktik und wäre auch ohne den Zusatz-Stopp zum Schluss für die schnellste Rennrunde hinter den roten Autos gelandet.

Im Mittelfeld setzte sich ein Stopp gegen zwei durch. Albon schlug Esteban Ocon, obwohl der Alpine den besseren Rennspeed hatte. Valtteri Bottas besiegte die McLaren, weil Lando Norris für zu langsames Fahrern hinter dem Safety-Car eine Strafe kassierte. Nur Lance Stroll durchbrach die Regel. Der Kanadier saß aber in dieser Gruppe auch im klar schnellsten Auto.

Der Versuch, Stroll früh aus dem Verkehr zu holen, ging im ersten Anlauf schief, weil er bei Rennspeed stoppte und eine Runde später das Safety-Car seinen direkten Gegnern ein Geschenk machte. Auch zum zweiten Stopp kam der Kanadier früher als alle anderen an die Box.

Danach musste Stroll Geduld aufbringen und Tempo machen, bis er auf die Gruppe mit Ocon, Norris, Bottas und Piastri traf. Die Position von Norris schenkte ihm die Strafe für den McLaren-Piloten. Das Duell gegen Bottas gewann er auf der Ziellinie. Mit 30 Tausendstel oder 2,50 Metern Vorsprung.

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