Trainingsanalyse GP Australien 2024
Ist Verstappen endlich fällig?

GP Australien 2024

Max Verstappens erster Trainingstag in Melbourne lief nicht rund. Der von Charles Leclerc dagegen umso mehr. Ferrari machte den Eindruck, als könnte man Red Bull diesmal unter Druck setzen. Wir haben die Longrun-Zeiten genauer unter die Lupe genommen.

Max Verstappen - Red Bull - Formel 1 - Melbourne - GP Australien - 22. März 2024
Foto: xpb

Das erlebt man ganz selten. Auch bei Red Bull geht mal etwas schief. Max Verstappen beschädigte im ersten Training zum GP Australien den Unterboden auf einem Randstein so stark, dass eine dreistündige Reparaturarbeit anstand. Auch das Chassis wurde in Mitleidenschaft gezogen. So gingen dem Weltmeister im zweiten Training 22 Minuten ab.

Verstappen verfehlte trotz mehr Grip auf der Strecke die Bestzeit von Charles Leclerc deutlich um 0,381 Sekunden. Und im Longrun lag er noch klarer hinter dem Ferrari-Piloten. Leclerc nahm dem zweifachen Saisonsieger im Schnitt vier Zehntel ab. Verstappen klagte über zu wenig Haftung an der Vorderachse. "Wir brauchen noch Feintuning. Das ist nichts, was wir nicht lösen könnten", verscheuchte er alle Sorgen. Normalerweise löst sein Team alle Probleme.

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Ferrari machte am ersten Trainingstag in allen Disziplinen eine extrem starke Figur. "Wir müssen Ferrari hier ernst nehmen", warnt Red-Bull-Teamchef Helmut Marko. Im Longrun wirkte auch McLaren stärker noch als der Weltmeister. Lando Norris verlor im Schnitt zwei, Oscar Piastri drei Zehntel auf Leclerc. Carlos Sainz drehte nur 13 Tage nach seiner Blinddarm-Operation 48 Runden und durfte den großen Rückstand zum Teamkollegen auch auf seine mangelnde Fitness schieben.

Oscar Piastri - McLaren - Formel 1 - Melbourne - GP Australien - 22. März 2024
Motorsport Images

Der Trainingsfreitag war noch nicht ganz aussagekräftig. Die Strecke wird noch ordentlich an Grip zulegen.

Mercedes drehte sich mit der Abstimmung und einem älteren Unterboden-Modell wieder im Kreis. Diesmal verlieren George Russell und Lewis Hamilton die Zeit eher in den langsamen Kurven am Ende der Runde. Aston Martin ist wieder schnell aus dem Stand, zeigt aber im Longrun ein ungewöhnliches Ergebnis. Lance Stroll überraschend schnell, Fernando Alonso überraschend langsam.

Ein großes Fragezeichen in Melbourne sind wie üblich die Reifen. Die weichen Mischungen C4 und C5 körnen stark, was mit mehr Gummi auf der Bahn allerdings abnehmen wird. Trotzdem wollen die Teams die weichen Reifentypen im Rennen so wenig wie möglich einsetzen. Pirelli erwartet in Mehrheit die Reifenfolge medium-hart-hart.

Alle Teams fassten die harten Reifen konsequent nicht an, um sie für Sonntag zu reservieren. Das Problem ist, dass man im Rennen eine böse Überraschung erleben könnte, weil keiner weiß, wie sich der C3-Gummi verhalten wird. Interessant wird auch wie die Piloten auf das Körnen einstellen. "Das Management gegen das Körnen verlangt eine andere Technik als sonst gegen eine starke Abnutzung", erzählt Nico Hülkenberg.

Max Verstappen - Red Bull - Formel 1 - Melbourne - GP Australien - 22. März 2024
xpb

Der Red Bull von Verstappen musste nach einem kleinen Ausritt im FP1 aufwändig repariert werden.

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Hat Max Verstappen einen echten Gegner?

Der erste Trainingstag lief nicht nach Maß nach dem Weltmeister. Im ersten Training fand Max Verstappen in Lando Norris seinen Meister, wenn auch nur um 18 Tausendstel. Und der zweifache Saisonsieger beschädigte seinen Unterboden auf dem Randstein von Kurve 10. Trotz zweieinhalb Stunden Pause zwischen den zwei Trainingssitzungen musste Verstappen 22 Minuten lang warten, bis der Ersatzboden im FP2 am Auto war. "Die Aufhängungspunkte des Bodens am Chassis waren in Mitleidenschaft gezogen worden. Deshalb hat die Reparatur so lange gedauert", ließ Technikchef Pierre Waché durchblicken. Weil der Boden selbst eine ausführliche Reparatur verlangt, kam anschließend ein älteres Exemplar zum Einsatz.

Mit der Verzögerung fuhr Verstappen antizyklisch zum Rest des Feldes. Als seine Kollegen längst auf Soft-Reifen auf schnelle Runden gingen, spulte der Holländer noch einen Longrun auf Medium-Reifen ab. Erst nach 38 Minuten sattelte der Red Bull-Pilot auf Pirellis weichste Mischung um und verfehlte trotz besserer Strecke die Bestzeit von Charles Leclerc um fast vier Zehntel.

"Ferrari sieht hier extrem stark aus. Auf eine Runde und im Longrun", warnte Red Bull-Sportchef Helmut Marko davor, Verstappen schon automatisch auf Sieg zu wetten. Trotzdem hat der Holländer noch etwas in der Hinterhand. "Wir sind auf der schnellen Runde mit weniger Power als Ferrari gefahren, und der alte Boden war auch nicht optimal", zählte Marko die Verbesserungsmöglichkeiten auf. Im Longrun braucht es noch Feinabstimmung. Da fehlte der Grip auf der Vorderachse.

Fernando Alonso - Aston Martin - Formel 1 - Melbourne - GP Australien - 22. März 2024
xpb

Alonso war im Longrun überraschenderweise nicht so stark wie Teamkollege Stroll.

Ist Aston Martin auch am Sonntag schnell?

Das kennen wir aus den ersten beiden Rennen. Auf eine Runde sind die Aston Martin schnell. Lance Stroll und Fernando Alonso landeten im zweiten Training auf den Plätzen vier und fünf. Und dabei hatte Alonso noch einen Fehler in Kurve 6 eingebaut. Er traf den gleichen Randstein wie Alexander Albon, hielt das Auto aber auf der Straße, obwohl der Aston Martin mit der Startnummer 14 schon mit allen vier Rädern in der Luft war. Im Rennen waren die grünen Autos bislang nur fünfte Kraft. In Jeddah schon etwas weniger als in Bahrain. "Wir arbeiten daran unseren Speed vom Training ins Rennen übertragen", versprach Teamchef Mike Krack.

Der Aston Marin AMR24 baut auf einem neuen Konzept auf. Noch fehlt die Erfahrung, das Auto perfekt auszubalancieren. Auf eine Runde geht es, auf die Distanz noch nicht. Darunter leiden die Reifen. "Wir haben im Rennen einen zu starken Reifenverschleiß", kritisiert Stroll. Der Aston Martin ist im Gegensatz zum Mercedes instabil auf der Vorderachse. Wenn die Ingenieure dann mit mehr Frontflügel gegensteuern wollen, kann das Pendel ins Gegenteil ausschlagen.

Lance Stroll testete Modifikationen am Fahrwerk. Sie sollten die Reifenabnutzung eindämmen. Alonso übernahm die Aerodynamikarbeit. Sein Longrun war nicht berühmt. Lance Stroll war im Schnitt fast eine Sekunde pro Runde schneller. Die Erklärung ist kompliziert. Ein Austritt ins Kiesbett im ersten Training kostete Alonso viel Zeit. An Longruns war nicht zu denken. Außerdem musste für das zweite Training mangels Ersatzteilen ein gebrauchter Boden ans Auto. Der Spanier ging seinen Dauerlauf zu konservativ an, weil er nicht wusste, inwieweit er den Reifen trauen konnte.

Lewis Hamilton - Mercedes - Formel 1 - Melbourne - GP Australien - 22. März 2024
Motorsport Images

Lewis Hamilton kam mit einem Setup-Experiment im zweiten Training überhaupt nicht klar.

Hat Mercedes sein Unterboden-Problem gelöst?

Schnelle Kurven waren bis jetzt der Feind von Mercedes. In Jeddah verloren die Silberpfeile eine halbe Sekunde in drei Kurven. Es stellte sich heraus, dass man zu tief gefahren war und der Strömungsabriss zu früh eintrat. Deshalb änderte man für Melbourne die Taktik. Es kam wieder der Unterboden des Präsentations-Autos zum Einsatz, von dem die Piloten am ersten Tag der Testfahrten noch schwärmten. Die zweite Version, die beim Grand Prix in Bahrain an den Autos war, sollte auf dem Papier noch besser sein, war es aber nicht.

Am Ende des ersten Trainingstages standen Fahrer und Ingenieure schon wieder in einem Irrgarten. Obwohl Lewis Hamilton und George Russell in den Kurven 9 und 10 ein ums andere Mal das Kiesbett, die Randsteine oder die Wiese testeten und dabei ramponierten Unterböden ablieferten, standen sie diesmal mehr mit der engen Kurvenfolge am Ende der Runde auf Kriegsfuß. "Da verlieren wir das Heck, und wir wissen nicht, warum", verzweifelte Teamchef Toto Wolff. Mögliche Erklärung. Mercedes konzentrierte sich so intensiv um die schnellen Kurven, dass die Performance in den langsamen darunter litt.

Russell betrieb als Sechster mit 0,674 Sekunden Rückstand auf Leclerc noch Schadensbegrenzung. Er wäre noch zwei Zehntel schneller gewesen, hätte er sich auf seiner besten Runde nicht in Kurve 13 verbremst. Im Vergleich zum Ferrari büßte Russell Zeit in den Kurven 1, 6, 9 und 10 ein. Hamilton wurde mit einem extremen Setup ins Rennen geschickt. Das Experiment ging gründlich in die Hose. Der Ex-Weltmeister landete mit 1,5 Sekunden Rückstand nur auf dem 18. Platz.

Charles Leclerc - Ferrari - Formel 1 - Melbourne - GP Australien - 22. März 2024
xpb

Charles Leclerc fuhr am Freitag in einer eigenen Liga. Kann der Monegasse die Form über das restliche Wochenende halten?

Wie gut ist Ferrari?

Das war mal eine überlegene Bestzeit. Charles Leclerc hängte Verstappen und den Rest der Welt um 0,381 Sekunden und mehr ab. Und Carlos Sainz zeigte beim Comeback nach seiner Blinddarm-Operation mit dem dritten Platz, vier Zehntel hinter dem Teamkollegen, dass Ferrari im Albert Park ein ernstzunehmender Kandidat für das Podium, wenn nicht sogar für den Sieg ist. Verstappen fuhr seine beste Runde zu einem späteren Zeitpunkt und damit mit mehr Grip auf der Strecke.

Die Ferrari waren auch im Longrun eine Macht. Teamchef Frédéric Vasseur will trotzdem nicht den Tag vor dem Abend loben: "Die Strecke passt uns. Die Autos liegen gut. Aber das muss nicht viel heißen. Die Strecke entwickelt sich rasend schnell weiter und legt stark an Grip zu. Wir werden am Samstag eine andere Strecke erleben. Was heute gut war, kann morgen schon schlecht sein."

Nico Hülkenberg - Haas - Formel 1 - Melbourne - GP Australien - 22. März 2024
Haas

Nico Hülkenberg hatte sich von Melbourne etwas mehr erwartet, als es der Haas zeigte.

Wer führt die Formel 1B an?

Auf eine Runde machte Toro Rosso den stärksten Eindruck. Wieder mit Yuki Tsunoda vor Daniel Ricciardo. Dem Australier fehlten erneut vier Zehntel auf den Teamkollegen. Im Longrun war Ricciardo etwas näher dran. Er weiß auch, wie er den Großteil des Rückstands wettmachen kann. "Ich fühle mich wohler im Auto als in Jeddah."

Williams geht mit dem Handikap nur eines Autos an den Start. Die Alpine sehen etwas besser sortiert aus, doch das war auch in Jeddah so. Der neue Beam Wing ist zu wenig, um die französischen Nationalrennwagen wieder flottzumachen. Sauber sah auf eine Runde besser als üblich aus. Valtteri Bottas fuhr im Dauerlauf auf Alonso-Niveau.

Die Haas-Piloten beurteilten den ersten Trainingstag unterschiedlich. Während Kevin Magnussen zufrieden war und am Samstag das Q2 anpeilt, hatte sich Nico Hülkenberg mehr erwartet: "Nach den Erfahrungen vom letzten Jahr hatte ich mir etwas mehr erhofft." Der Haas verliert vor allem in den schnellen Ecken. "Den Großteil der Zeit lassen wir in den Kurven 6, 9, 10 und 12 liegen."

Das ist ein Zeichen dafür, dass dem US-Renner noch Abtrieb fehlt. Hülkenberg wirft die Flinte noch nicht ins Korn: "Die Teams in der zweiten Hälfte des Feldes scheinen ähnliche Probleme zu haben. Mit mehr Grip von der Strecke und Arbeit am Auto könnte sich das Bild für uns noch etwas verbessern."

Alex Albon - Williams - Formel 1 - Melbourne - GP Australien - 22. März 2024
xpb

Bei Alex Albon blieb die Garage nach dem Crash im ersten Training verschlossen.

Warum steht nur ein Williams am Start?

Melbourne vergibt nicht. Alexander Albon flog an der dümmsten Stelle des Kurses ab. Zwischen Kurven 7 und 8 sind die Mauern ungeschützt und damit der Schaden maximal groß. Nach dem Highspeed-Crash des Thailänders im ersten Training stand in der zweiten Sitzung nur ein Williams am Start.

Logan Sargeant sollte den Ingenieuren zeigen, wie gut der FW46 auf der Strecke von Melbourne geht. Der Amerikaner erledigte die Aufgabe trotz eines Drehers und einem Ausritt in die Wiese auf Platz 13 ganz ordentlich. Dann darf man davon ausgehen, dass Alexander Albon in den Top Ten gelandet wäre.

Während Sargeant seine Runden drehte, prüfte die Crew von Albon, ob das Monocoque reparabel ist. Bei dem Unfall war die rechte Vorderradaufhängung in die Carbonröhre eingedrungen. Ein Ersatzchassis gibt es nicht.

Eine Stunde nach dem Training stand fest, dass man die Schäden mit den Werkzeugen an der Strecke nicht flicken kann. Das Chassis wird am Samstag zurück nach England geschickt, um es dort wieder flottzumachen und dann zusammen mit Chassis Nummer drei in Suzuka notfalls Ersatz zu haben. Damit steht am Sonntag nur ein Williams am Start: Das Auto von Sargeant kriegt Albon überschrieben. Der Unfall-Pilot ist laut James Vowles die bessere Chance auf Punkte im engen Mittelfeldkampf.

Longrun-Zeiten - GP Australien 2024

Fahrer

Schnitt Rundenzeit

Runden

Reifentyp

Stint

Leclerc

1.22,926 min

9

medium

1

Norris

1.23,140 min

9

medium

1

Piastri

1.23,260 min

14

medium

1

Stroll

1.23,358 min

11

medium

1

Sainz

1.23,431 min

10

medium

1

Russell

1.23,760 min

7

medium

1

Verstappen

1.23,773 min

5

medium

1

Perez

1.23,808 min

12

medium

1

Gasly

1.24,047 min

10

medium

1

Tsunoda

1.24,067 min

10

medium

1

Bottas

1.24,207 min

14

medium

1

Alonso

1.24,243 min

15

medium

1

Ricciardo

1.24,274 min

9

medium

1

Ocon

1.24,443 min

12

medium

1

Hülkenberg

1.24,454 min

12

medium

1

Zhou

1.24,503 min

12

mesdium

1

Magnussen

1.24,827 min

14

medium

1

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