Konkurrenz staunt über Red-Bull-Speed
Wer setzt für Sonntag auf Risiko?

GP Belgien 2023

Max Verstappen zerstörte die Konkurrenz in der Spa-Qualifikation mit einer Fabelzeit. Die Red Bull setzte trotz unsicherer Wetterlage auf das Risiko mit viel Topspeed. Trotzdem war Verstappen Schnellster im kurvigen Sektor 2. Wir erklären, wie das möglich war.

Max Verstappen - Red Bull - Formel 1 - GP Belgien - Spa-Francorchamps - 28. Juli 2023
Foto: Motorsport Images

So viel Lotterie gab es noch nie in dieser Saison. Keiner weiß, wie am Samstag und Sonntag das Wetter wird. Die letzte Vorhersage sieht so aus: Eher nass im Sprint, eher trocken im Hauptrennen. Doch wer Spa kennt, der weiß, dass sich das Wetter in den Ardennen an keine Prognose hält. Es ist aber wahrscheinlich, dass wir Samstag und Sonntag völlig unterschiedliche Bedingungen erleben.

Die Teams gehen völlig blind in beide Aufgaben. Es gibt keine Longruns, keine einzige Runde mit den Reifenmischungen hart und medium, nur ein paar schnelle Qualifikationsrunden halb trocken, halb nass auf den Soft-Reifen, die aber nicht repräsentativ für ein Rennen sind.

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Aston-Martin-Chefingenieur Tom McCullough erzählt: "Wir müssen jetzt aus den wenigen Daten, die wir haben, für alle Szenarien eine Hochrechnung erstellen. Dann wird sich zeigen, wie gut deine Simulationen sind."

Mercedes-Kollege Andrew Shovlin fasste zusammen: "Sprint-Rennwochenenden sind eine Herausforderung. Wenn man dann in der ersten Session keine nützlichen Runden fahren kann, werden sie noch schwieriger. Man muss sich ganz auf die Simulationen vor dem Wochenende verlassen, um das Auto abzustimmen und die Balance zu finden."

Lance Stroll - Aston Martin - Formel 1 - GP Belgien - Spa-Francorchamps - 28. Juli 2023
Aston Martin
Aston Martin wählte beim Setup eine Kompromiss-Lösung

Kein Risiko mit Bodenfreiheit

Das Problem für die Teams lag darin, dass die Abstimmung der Autos längst festgelegt ist. Sie dürfen nur noch bei den Reifendrücken, der Frontflügeleinstellung und den elektronischen Kontrollsystemen Hand anlegen. Damit kann man die Balance des Autos beeinflussen, nicht aber den Topspeed, den Abtrieb, die Abnutzung der Schutzplanke unter dem Auto.

Wer mit der Bodenfreiheit zu tief gegangen ist, riskiert am Sonntag eine Disqualifikation. Wer zu wenig Abtrieb gewählt hat, wird im Regen ertrinken und bei Trockenheit zu schnell seine Reifen verheizen. Ist es zu viel, wird er bei einem Trockenrennen auf der Kemmel-Gerade und dem Anflug auf die Busstop-Schikane von den anderen aufgefressen.

Red Bull, Ferrari und Lewis Hamilton setzten auf wenig Abtrieb. McLaren und George Russell auf viel. Im Fall von McLaren, weil man für das in Spa verlangte Maß an Abtrieb keinen geeigneten Heckflügel im Angebot hat. Deshalb meldete das Team einen Flügel mit einem Trim an oberen Rand des Flaps bei der FIA an. Aston Martin wählte den goldenen Kompromiss. "Uns schien der konservative Ansatz angesichts der vielen Fragezeichen der beste Weg", hieß es aus dem Team.

Max Verstappen - Red Bull - Formel 1 - GP Belgien - Spa-Francorchamps - 28. Juli 2023
xpb
Verstappen kam mit kleinen Flügeln gut durch die Kurven.

Verstappens Urteil zählt

Red Bull verließ sich auf das Urteil von Max Verstappen. Der Weltmeister drehte im ersten Training nur zwei Runden auf Intermediates auf überfluteter Strecke. Sein Urteil: "Das Auto passt." Sportchef Helmut Marko schmunzelte: "Und dann haben wir das Auto so gelassen. Max hat sein Gefühl im Sektor 2 gereicht, sich ein Urteil über das Auto zu bilden. Und da konnte er wegen des Regens nicht einmal voll fahren."

Die Sektorzeiten der Topteams verraten, dass Red Bull weiter von seinem gigantischen DRS-Effekt profitiert. Der Unterschied der Geschwindigkeitsmessungen im Q2 und Q3 öffnete einmal mehr der Konkurrenz die Augen. Im Q2 war DRS noch verboten. Da lag Red Bull in Eau Rouge und auf der Kemmel-Gerade hinter Mercedes.

Im Q3 durfte der Heckflügel hochgeklappt werden. Hamilton war mit 313,4 km/h in Eau Rouge Schnellster. Verstappen kam dort nur auf 307,2 km/h. 800 Meter später flog er 338,8 km/h über die Zeitschranke der Topspeed-Messung. Hamilton verhungerte trotz schnellerem Anlauf mit 333,0 km/h fast. Nur Ferrari kam beim Topspeed in die Nähe der Ferrari. Alle anderen verloren 7 km/h und mehr.

Die Red-Bull-Piloten waren trotz ihrem unerreichten Topspeed im kurvenreichen Sektor 2 bei den Schnellsten. Verstappen holte dort den Großteil seiner Zeit, sogar gegenüber Autos, die auf mehr Abtrieb gesetzt hatten. Der Holländer erklärte: "Sektor 2 war alles eine Sache des Vertrauens. Ich wusste, dass unser Auto dort schnell ist."

Wie viel Vertrauen wert sein kann, zeigte Verstappen im Q2 im negativen Sinn. "Ich hatte in der Runde zuvor einen kleinen Fehler gemacht und konnte die Reifen für den letzten Versuch nicht optimal aufwärmen. Und schon war die Rundenzeit nicht da."

Lewis Hamilton - Formel 1 - GP Belgien - Spa-Francorchamps - 28. Juli 2023
xpb
Lewis Hamilton war der Schnellste in Eau Rouge.

Red Bull, ein Wunder an Effizienz

Der Widerspruch zwischen Abstimmung und Rundenzeit erzählt zwei Dinge. Erstens: Der Red Bull RB19 ist das effizienteste Auto im Feld und auch mit weniger Flügel noch schnell in den Kurven. Dabei half im Q2 und Q3 sicher auch, dass alle von Intermediates auf Slicks wechseln konnten.

Wer die Reifen dann in ihr Fenster brachte, konnte mit dem extra Grip der Soft-Gummis in den Kurven fehlenden Abtrieb ausgleichen. Das könnte sich im Regen oder bei kühlem Wetter mit den Mischungen Medium und Hart als Nachteil erweisen.

Red Bulls kleine Schwäche in Eau Rouge deutet darauf hin, dass man mit der Bodenfreiheit kein Risiko eingegangen ist. Für maximalen Abtrieb in schnellen Kurven steht das Auto möglicherweise zu hoch. Das schadet aber nicht in den langsameren Kurven, weil das Auto auch bei mehr Bodenfreiheit noch guten Anpressdruck und mechanischen Grip erzielt.

Lewis Hamilton - Formel 1 - GP Belgien - Spa-Francorchamps - 28. Juli 2023
Mercedes
Bei Mercedes wurde das Risiko gesplittet. Hamilton fährt einen kleinen Flügel, Russell einen größeren.

Mercedes mit Doppel-Strategie

Mercedes ging die Fahrt ins Ungewisse anders an als Red Bull. Die beiden Autos waren mit unterschiedlichen Flügeln bestückt. George Russell war mit mehr Abtrieb als Lewis Hamilton unterwegs. Das kostete Russell 5,5 km/h auf der Kemmel-Gerade, brachte ihm aber keinen Zeitgewinn im zweiten Sektor. Vermutlich aus ähnlichen Gründen, warum Verstappen so schnell war. Hamiltons flacher Flügel war auf der abtrocknenden Bahn die bessere Wahl.

Die Mercedes-Piloten kämpften wie üblich mit den Reifentemperaturen. Es dauert zu lange, bis sie im grünen Bereich lagen. Deshalb schickte das Team seine Fahrer im Q3 zunächst auf zwei schnelle Runden mit einer Abkühlphase dazwischen. Das kostete so viel Zeit, dass Hamilton und Russell vor dem zweiten Versuch eine Aufwärmrunde im Renntempo zurücklegen mussten.

Mercedes hatte sich mit dem großen Upgrade-Paket mehr erwartet als die Plätze 4 und 8. Teamchef Toto Wolff beschwichtigte aber: "Das lässt keinen Rückschluss auf das Upgrade zu. Dazu waren die Bedingungen zu wechselhaft."

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